Eine kurz-bündige
Lobrede
von Bernd-Ingo Friedrich
Zum 70. Geburtstag von Robert Wohlleben im Jahre 2007
Ist man als einigermaßen gescheiter, schreibender Zeitgenosse Joan K. Rawlings und ihres Harry Potter eigentlich schon genug gestraft, so ist man es als obendrein bibliophiler, der sich in der Provinz mit etwas so Exotischem wie den Sonetten des italienischen Cinquecento beschäftigt, gleich doppelt und dreifach. Um so mehr freut man sich, wenn man ähnlich Gesinnten begegnet. Einige der wohl bemerkenswertesten findet man im Internet unter www.fulgura.de. Wer sich auf diese Website begibt, findet dort den Zentralverlag für das Sonettwesen und eine ganze Menge Interessantes, zum Beispiel eine Berechnung der „Total Cost of Ownership für Bücher (TCO)“ - eine überschlägige Berechnung der „Bücherhaltungskosten“ nach Detlev Balzer (Ottensen). Ich zitiere:
„Folgende vorsichtig,
konservativ und idealisierend mittelnde Annahmen stehen voran:
30 Jahre hat jemand, der 16- oder 17-jährig mit der Anschaffung von
Büchern beginnt und lebenslang dabeibleibt, ein Buch im Besitz. 40
Bücher lassen sich auf einem Meter Regal unterbringen, bei 6
Regalböden also 240 Bücher. 0,33 m2 der Wohnfläche beansprucht ein 1
m breites Regal; mitsamt der nötigen Zuwegung ist der Flächenbedarf
mit 1 m2 anzusetzen. 300 Mark sollen für die Regalanschaffung
genügen. 15 Mark im Monat betrage die Miete für 1 m2, also 180 Mark
im Jahr und 5400 Mark in 30 Jahren. So ergeben sich 5700 Mark für
240 Bücher, also 23,75 Mark für 1 Buch. Vernachlässigt sind Mühe und
Kosten, die etwa aus Umzügen erwachsen. 11 Meiendorfer Drucke in der
Standardform (1 Bogen Oktav) ergeben die Breite des hier zugrunde
gelegten Durchschnittsbuches. Daraus ergibt sich: TCO für 1
Meiendorfer Druck der Standardklasse also nur 2,16 Mark.“
Die Meiendorfer Drucke sind das selbsternannte „Zentralorgan für das Sonettwesen“, erscheinen unregelmäßig im Robert Wohleben Verlag (auch: fulgura frango), dem „Zentralverlag für Sonettwesen & andere Excentricitæten“ und werden in der Hamburger Druckerei „Mottendruck“ hergestellt. Letztere Bezeichnung spielt auf den Altonaer Ortsteil Ottensen an, wo „Zentralverleger“ Robert Wohleben seit nun mehr als 20 Jahren ansässig ist. Die scherzhaft-abfällige Bezeichnung „Mottenburg“ geht zurück auf die vom 19. bis ins 20. Jahrhundert dort in Heimarbeit betriebene Zigarrenmacherei, was den damit beschäftigten „armen Leuten” die Tuberkulose eintrug; sie kriegten „die Motten“.
Begonnen hatte Wohlleben 1967 mit den Meiendorfer Beiträgen zum Vergnügen des Verstandes und Witzes, großformatigen Text/ Graphikblättern im Siebdruck, angeboten für den illusorisch niedrigen (demokratischen) Preis von 3 D-Mark das Stück. Das Konzept von „Kunst fürs Volk“ (die Taschenbuch-Idee auf Druckgraphik übertragen) ging natürlich nicht auf. (Die von dem 2000 verstorbenen Frank Böhm und Jens Cord - beide Maler und Grafiker - gestalteten Meiendorfer Beiträge wurden übrigens als Nachahmungen von Horst Janssens Bilderbogen bezeichnet - waren aber vor diesen da!)
1968 kamen die Meiendorfer Drucke hinzu und erwiesen sich in der Folge – aus verschiedenen Gründen - als die langlebigeren. Den Namen „Meiendorfer“ haben die Drucke von dem Hamburg-Wandsbeker Ortsteil Meiendorf behalten, wo der Verleger zuvor wohnte. Wohlleben erwähnt gern, daß er dort – zeitversetzt natürlich –denselben Friseur wie Detlev von Liliencron hatte.1
Die ersten drei Nummern wurden ebenfalls noch im Siebdruckverfahren von Hand gefertigt. Es folgten einige recht abenteuerliche und aufwendige Zwischenlösungen2, bevor der Übergang zum Offsetdruck vollzogen wurde. Zunächst wechselnd im Format, sind die Drucke bis auf wenige Ausnahmen ab Nr. 12 (1988) Ein-Bogen-Hefte im Format DIN A5, unaufgeschnitten und geklammert. Insgesamt 7 der inzwischen über 60 Meiendorfer Drucke sind in Buchform erschienen, einige gibt es in ungewöhnlichen Formaten, die meisten als die beschriebenen Bögen. Die Empfehlung der Druckerei, statt 300 doch lieber 10.000 zu drucken, weil das billiger käme, ignorierte Wohlleben. Die Drucke erschienen und erscheinen in Auflagen zwischen 100 und 300 und kosten heute 10 Euro.
Inzwischen sind es, im Archiv des Verlegers nachgemessen, exakt 196 Millimeter, die alle bisher erschienen Meiendorfer Drucke beanspruchen. (Siehe TCO!) Die geringe räumliche Ausdehnung der Drucke täuscht über ihren Gehalt.
In 40 Jahren hat Robert Wohlleben mit fulgura frango rund 200 Autoren vorgestellt, darunter Arno Holz, Ina Paul, Maxi Unseld, Klaus M. Rarisch, Ernst-Jürgen Dreyer, Herbert Laschet Toussaint (HEL), Werner Laubscher, Lothar Klünner und last not least Robert Wohlleben. Bekannte, den Dichtern verbundene Namen finden sich u.a. mit Heinz Ohff und Lars Clausen. Häufigste (lebende) Autoren sind Wohlleben, Rarisch, Dreyer, Klaus und HEL.
Die Dichtungen sind verschieden wie die Dichter selbst. Sie alle eint, daß sie von Dichtern stammen, die sich am Rande des offiziellen Literaturbetriebs eingerichtet haben; allesamt im Leben gestandene Männer, die über das Medium Buch und größtenteils im Sonett Ansichten über die Gebrechen des Menschen und seiner schönen (Geld-Schein-) Welt austauschen. Dem dient auch der Austausch untereinander in Form von Tenzonen.3 Dabei geht es durchaus nicht immer fein, meist kollegial und oft gerecht, in jedem Falle amüsant zu, inhaltlich und formal auf hohem bis höchstem Niveau. Ihre Ansichten eröffnen Aussichten, die dem „Mainstream“ mehr oder weniger (meist mehr) gegen den Strich gehen. Vorgetragen mit angemessener Bitterkeit, verbunden mit subtilem Humor, enthalten sie neben tiefen Einsichten viele herzerfrischend schnurrige Einfälle wie die eingangs zitierten TCO.
Zwei der bisher veröffentlichten Bücher enthalten eben solche Tenzonen. Der Meiendorfer Druck Nr. 20 enthält eine wichtige Sammlung des Berliner Ultimisten Klaus M. Rarisch,4 und die im Jubeljahr 2007 erschienene Nr. 59 mit dem Titel „O zartes Blau des Nebels überm Stau“ ist eine 160-seitige, sorgfältig edierte Gedichtauswahl von Ernst-Jürgen Dreyer im Taschenbuchformat,5 gut gedruckt auf schönes Papier, gediegen in graues Leinen gebunden, mit Schutzumschlag - und das zum sensationellen halben Preis eines 0-8-15-Harry-Potter-Bandes – ein Beweis dafür, daß sich ausgezeichnete Qualität zum anständigen Preis machen läßt. Der Bestseller des Verlages ist bezeichnenderweise eine Kalauersammlung rund um das (in der Hauptsache Sau-) Wetter. Wirklich.
Ich finde es gut, daß es Enthusiasten wie den Übersetzer – Buchgestalter – Mikroverleger (Deutschlehrer und Dichter!) Robert Wohlleben gibt; Leute die sich nicht von jedem letzten Schrei taube Ohren machen lassen, sondern Zeitgemäßes in Verbindung mit alten, bewährten Formen in einer vielleicht nicht ganz perfekten, weil preiswerten Aufmachung an möglichst viele Leser zu bringen versuchen. Er betrachtet seine Verlegertätigkeit als Mission und hat diese Auffassung bereits erfolgreich gegen Zumutungen des Finanzamtes verteidigt. Er beweist, daß Geschmack und künstlerisches Empfinden nicht an bestimmte Materialien und Techniken gebunden sind und daß die Bibliophilie nicht nur Begüterten gehört. Dem entspricht die absichtlich nicht 100 % bibliophilen Vorstellungen entsprechende, aber immer originelle Verpackung. Sie ist wie der niedrige Preis Programm.
Lothar Langs allen Anforderungen an ein gutes Buch genügender, aber wohl kaum bibliophil zu nennender 198 Euro teurer Pappband Buchkunst und Kunstgeschichte im 20. Jahrhundert6 hingegen ist ein trauriges Beispiel dafür, wie sich die Buchkunst in Regionen verabschiedet, die den Geldbeutel für viele zum Fesselballon werden läßt. Dazu gehören auch Hand- und Pressendrucke, die „The Best Of“ der Weltliteratur in stets neuem Gewande perpetuieren. Ein vom Kulturverein riesa-efau Dresden mit Schirmherren, Sponsoring und gewaltigem Spektakel veranstaltetes „Künstlerbuch“, mit dem vorgeblich an die Tradition der DDR-Künstlerbücher angeknüpft werden sollte, fügt sich in diese ungute Entwicklung an hervorragender Stelle ein. Der ausgerechnet mit dem Preis für gelebte Demokratie versehene Riesenschinken - hundert rund zwei Quadratmeter große Seiten mit einem Gesamtgewicht von über 100 Kilogramm, ist nur noch fürs Depot gemacht.7 - Ein Buch?
Ich ziehe Wohllebens „Einblattdrucke“ solchen bibliophilen „Events“ vor, weil ich nach dem Aufschneiden immer irgendeine Überraschung vorfinde, in eine literarisch hochkultivierte, geistreich-kritische, moderne Welt eintauchen kann, weil ich das wunderbar altmodische Aufschneiden liebe, und weil ich mir die Hefte (noch) leisten könnte (ich bekam sie fast alle geschenkt – von einem Freund und dem Verleger selbst). Das „noch“ gebrauche ich als ein Bücherfreund, der das Pech hatte, jung an Jahren in der Bundesrepublik Absurdistan zu einem Rentenbezieher geworden zu sein ...
Valerij Brjusov
SONETT AN DIE FORM
deutsch von Ernst-Jürgen Dreyer
Es hängen zart und zaubertief zusammen
der Blume Umriß und ihr Duft und Flor;
uns unsichtbar ist der Brillant, bevor
ihn Schliff zum Diamanten läßt entflammen.
So Phantasiegebilde, die verschwammen,
und was wie Wolken wandernd sich verlor –
versteint ragt es jahrhundertlang empor:
zum Satz geformt, gefeilt zu Epigrammen.
Auch ich will, daß die Träume unterm Stift
zu Wort gelangen und zum Licht sich spreiten
und jeder die ersehnte Linie trifft.
Hast du sie aufgeschnitten, Freund, die
Seiten,
berausche dich an den Vollkommenheiten
des Verses und der stillen Schönheit Schrift.
Anmerkungen
1 Meiendorf
war ein Ortsteil von Alt-Rahlstedt, dieses wiederum war Stadtteil im
Bezirk Wandsbek (bekannt geworden duch den Wandsbecker Bothen;
Freud hat in der dortigen Synagoge geheiratet). Liliencron zog 1904
nach Alt-Rahlstedt und starb dort 1909. Gelegentlich ging „de
Danzbaron“ wohl in ein Meiendorfer Lokal tanzen. Die Ortsteile
gehören heute zu Hamburg.
2 Der originelle Meiendorfer Druck Nr. 19 „lie/bes/ka/len/da/ri/um“
von Karl Riha wurde mit Hilfe eines typographischen Stempelkastens
entworfen. In jedes Heft der Auflage (300 Exemplare!) ist eine
Briefmarke eingeklebt; diese kaschiert einen „Druck“fehler ...
3 Tenzone (provenzal.): Wett- oder Streitgesang bei den
Provenzalen. Im höfischem Milieu wuchsen Umfang, Grad der
Formalisierung und Zahl der Beteiligten.
4 Klaus M. Rarisch. „Die Geigerzähler hören auf zu
ticken. 99 Sonette.“ Hamburg: Robert Wohlleben Verlag 1990. (Meiendorfer
Druck Nr. 20.) Rarisch war lange Zeit Arno Holz’
Nachlaßverwalter.
5 Ernst-Jürgen Dreyer: „O zartes Blau des Nebels überm
Stau. Müll/ Ein Weltgedicht/ Erster Teil.“ Hamburg-Ottensen: Robert
Wohlleben Verlag 2007. (Meiendorfer Druck Nr. 59.)
6 Lothar Lang: Buchkunst und Kunstgeschichte. Graphik,
Illustration, Malerbuch. Stuttgart: Hiersemann 2005. (Bibliothek
des Buchwesens, Bd. 17.)
7 Michael Golsch: „Die Bibliothek im Warenhaus“. In:
SLUB-Kurier. Aus der Arbeit der Sächsischen Landesbibliothek –
Staats- und Universitätsbibliothek Dresden. 15. Jahrgang 2001,
Heft 1; S. 1f.