Elke Lang
Bibliophilie im Sozialismus - das war keineswegs eine selbstverständliche Angelegenheit, wurde sie doch von staatstragenden Ideologen sowohl in der Sowjetunion als auch in der DDR verdächtigt, bürgerlich-snobistisch zu sein und allenfalls ein intellektuelles Nischendasein zu führen. Dass sich eine vereinsähnliche bibliophile Gesellschaft mit dem Namen Pirckheimer-Gesellschaft am 29. Januar vor 50 Jahren im Ostteil Berlins mit rund 80 Teilnehmern vom Verleger über den Finanzwissenschaftler bis zum Komponisten und Filmemacher gründen konnte, ist in erster Linie ihrem illustren Initiativkomitee zu verdanken, dem neben Werner Klemke, der das noch heute verwendete Pirckheimer-Signet schuf, solche Leute wie der überzeugte Kommunist und leidenschaftliche Sammler Bruno Kaiser (1911-1982) angehörten. Er war Direktor der Bibliothek des Marx-Engels-Lenin-Stalin-Instituts beim ZK der SED. Seine gesamte Bibliothek mit etwa 40 000 Bänden ist heute in den Sondersammlungen der Abteilung Historische Drucke der Staatsbibliothek zu Berlin Unter den Linden aufgestellt. Autoritäten wie er konnten politisch unangefochten die Ziele der Gesellschaft vertreten, nämlich die Bibliophilie in der sozialistischen Gesellschaft zu verankern, das Bucherbe zu bewahren und gleichzeitig das „neue" Buch zu fördern.
Dass die Gesellschaft, für die von den Gründern nicht mehr als 350 Mitglieder prognostiziert wurden, bis auf 1250 Mitglieder im Jahre 1990 anwachsen konnte, war einmal durch die Angliederung an den Kulturbund möglich. Dieser bot die finanzielle Grundlage, ohne sich wesentlich politisch einzumischen. Im höchsten Maße aber waren es die Mitglieder selbst, zu denen bald ebenso einfache Handwerker und Angestellten gehörten. Sie gewährleisteten mit Buchausstellungen, Graphikmärkten, Auktionen, Vorträgen, Gesprächen, die Beteiligung an der Auswahl der Schönsten Bücher, Exkursionen in Archive, Bibliotheken, Museen und Antiquariaten sowie Publikationen, deren wichtigste als Bindeglied ab 1957 die buchwissenschaftliche Quartalszeitschrift MARGINALIEN wurde, ein inhaltlich breit gefächertes und kulturell hochwertiges Vereinsleben. Beim Jahrestreffen 1982, das aus Anlass der Internationalen Buchkunst-Ausstellung in Leipzig stattfand, gab es die Rekordzahl von 412 Teilnehmern.
Antrieb für die Aktivitäten der Mitglieder bei zentralen Veranstaltungen oder in den zahlreichen Regionalgruppen war und ist, „aus der passiven Rolle des Kulturkonsumenten herauszutreten", wie der Frankfurter Bibliophile Ralf Parkner es im opulenten Jubiläums-Almanach mit 41 Autoren, darunter Kerstin Hensel, Richard Pietraß und Volker Braun, formuliert. Man will in einer kulturvoll-gediegenen Atmosphäre jenseits von politischen Zwängen seine Schätze zeigen, das mit ihnen erworbene Wissen weitergeben, neue Anregungen aufnehmen und Gelegenheit zum Neuerwerb bibliophiler Bücher oder Graphiken erhalten. Darin liegt auch der Grund, dass die Pirckheimer-Gesellschaft die politische Wende, wenn auch 1993 mit nur 440 Mitgliedern, überstanden hat. Sie ist seit 1992 eingetragener Verein und gehört dem Kulturbund nur noch als korporatives Mitglied an. Die Jahrentreffen finden nun in ganz Deutschland statt so wie auch die Mitglieder aus ganz Deutschland und dem deutschsprachigen Ausland stammen. Zur Zeit sind es insgesamt 520, davon 180 aus Berlin und dem Land Brandenburg.
Jubelrufe aus Bücherstapeln. Die Pirckheimer-Gesellschaft. 1956-2006. Ein Almanach. Wiesbaden: Harrassowitz, 2006. 224 S., 47 Abb. Gr.-8°. Pappband. Preis: 58 Euro. ISBN 3-447-05342-9. Erhältlich im Buchhandel und bei der Pirckheimer-Gesellschaft e. V., PF 640114, 10047 Berlin