Bücher und Bilder
»Von Hegenbarth bis Altenbourg« – eine neue Publikation von Lothar Lang – gelesen von Axel Bertram 

Eine Auswahl illustrierter Bücher, die zu Zeiten der DDR herausgegeben wurden. An den abgebildeten Büchern haben als Illustratoren mitgewirkt: Klaus Ensikat, Josef Hegenbarth, Karl-Georg Hirsch, Horst Hussel, Werner Klemke, Ruth Knorr, Rolf Münzner, Klaus Noeske, Nuria Quevedo, Thomas Schleusing, Max Schwimmer Foto: Bertram

Ein erfreulich gründliches Buch widmet sich einem zusammenfassenden Überblick über das illustrierte Buch in der DDR. Der Autor Lothar Lang hat sich Jahrzehnte mit dem Zusammenspiel zwischen den prägenden Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts und dem Buch beschäftigt und vier opulente Bildbände zu diesem Thema vorgelegt. Nicht nur als Buchwissenschaftler, auch als leidenschaftlicher Büchersammler hat er praktisch in der Pirckheimer-Gesellschaft und in ihrer Zeitschrift Marginalien die Entwicklung der Buchkunst in der DDR begleitet und kommentiert.
Im Vorwort seines neuen Buches begründet der Autor, warum es in der DDR zu einem bemerkenswerten Aufschwung, zu einer »Blüte der Illustrationskunst« kommen konnte. Zum einen stand die Buchkunst, »im Unterschied zu Literatur, Film und Malerei nicht im Zentrum des politischen Reglements«, zum anderen erfuhr sie entschiedene Förderung, durch eine kulturpolitisch motivierte Buchpreispolitik, durch das buchkünstlerische Engagement der Kunsthochschulen in Leipzig und Berlin, durch staatlich organisierte Wettbewerbe und Auszeichnungen und nicht zuletzt auch durch die Aktivitäten der Pirckheimer-Gesellschaft, deren prägende Mitglieder in all diese Maßnahmen verantwortlich involviert waren.
Dieses Buch breitet staunenswerte Schätze aus. Sorgfältig zusammengetragen, finden sich hier Beiträge zur Illustrationskunst, wie sie in solcher Fülle und in einem so frappierenden Reichtum der Handschriften in einem so eng an Ort und Zeit umgrenzten Raum nur sehr selten zu finden sein dürften. Einer der großen Vorzüge dieses Buches besteht darin, dass seine Untersuchung nicht erst 1949 einsetzt, was nur in einem sehr formalen Sinne korrekt gewesen wäre, sondern bereits 1945. Mit seinem ersten Kapitel »Als der Krieg zu Ende war« setzt der Autor sich und dem Leser Maßstäbe, bringt Aspekte ein, die dem Anfang eine nachwirkende Bedeutsamkeit verleihen. Ob es die Handzeichnungen von Hans Theo Richter sind oder die Zeichnungen von Willi Baumeister zu Shakespeares »Sturm«, oder das »Bilderbuch 1945« von Hannah Höch, das doch erst 1985 von Hans Marquardt in der Dürer-Presse bei Reclam herausgebracht wurde, oder die altersweisen Zeichnungen von Albert Schäfer-Ast – mit diesen Beispielen setzt Lothar Lang Akzente, die nicht nur für die weitere Entwicklung damals, sondern auch für die Betrachtung heute durchaus fruchtbar wirken. Es mögen dies zum wenigsten dem strengen Begriffe nach Illustrationen sein, als Buchkunst schließt sie der Autor, frei von engen Definitionsschranken, in seinen Bericht ein.
Es hat der Zufall eine eigentümliche Symbolkraft, wenn in diesem Jahr gleich drei Bücher erscheinen, illustriert von Grafikern, die in der Folgezeit sich bedeutend entfalten sollten. Josef Hegenbarth steuerte Pinselzeichnungen zu Gustave Flauberts »Bücherwahn« bei, Werner Klemke stach seine ersten Holzstiche für das Buch mit den Illustrationen zu den »Humoristischen Skizzen aus dem deutschen Handelsleben« von Georg Weerth und Max Schwimmer, der schon zuzeiten des Faschismus Buchillustrationen unter Pseudonym veröffentlicht hatte, schmückte das Buch »Allerleirauh« von Arnold Zweig mit Federzeichnungen. Lothar Lang stellt sie mit vollem Recht in ausführlicheren Würdigungen vor, denn ihre Arbeit hat einen Großteil der Buchkunst der DDR geprägt. Wenn der Rezensent in Max Schwimmer eher eine liebenswürdige Spezialbegabung sieht, so ist er sich doch bewusst, dass Schwimmers scheinbar so leicht hingehauchtes Liniengefüge mit erotischem Flair in der deutschen Zeichenkunst eine wertvolle Seltenheit darstellt. Lothar Lang würdigt diese unterschiedlichen Auffassungen zweier großer Illustratoren, die, jeweils meisterlich in ihrer Art, sich gegenseitig so glücklich ergänzen und steigern. Er charakterisiert Josef Hegenbarth als den »eigenwilligen Philosophen«, Werner Klemke als »Grandseigneur der Buchkunst«.
Im weiteren Fortgang seiner Darstellung blättert Lang eine stolze Reihe von bedeutenden und interessanten Grafikern und Malern auf und, das ist keineswegs selbstverständlich, in einer beeindruckenden Vollständigkeit. Es müssen hier leider einige wenige Beispiele genügen, um wenigstens einige Eckpunkte zu benennen: Das reicht von der krass formelhaften Aggressivität von Hans Ticha bis zu den poetischen, spielerisch in sich versunkenen Liniengespinsten von Albrecht von Bodecker, von der formstrengen Fantastik des Holzstechers Karl-Georg Hirsch bis zu den komisch-geistreichen Bildpointen von Egbert Herfurth, der so fein zu kippeln weiß zwischen Naivität und Raffinesse. Da wird erinnert an die großartig düsteren, nahezu monumentalen Radierungen von Nuria Quevedo, aber genauso an die filigran ziselierten, hintergründigen Federzeichnungen voll ironischer Prächtigkeit, die Klaus Ensikat vorgelegt hat, an den gewandten zeichnerischen Witz von Manfred Bofinger wie an die lakonisch knappen, von milder Satire erfüllten Zeichnungen von Elizabeth Shaw. Stets steht hinter der gewählten oder herangereiften Bildsprache eine geistige Erfahrung, eine individuelle Sicht auf Welt und Literatur, deutend und dienlich begleitend.
Wie unterschiedlich reagieren zum Beispiel die im gleichen Jahr geborenen Künstler Ruth Knorr und Hans Joachim Walch auf Goethe: Walch hat die Novelle »Der Mann von fünfzig Jahren« mit Holzstichen versehen, von denen Lothar Lang schreibt: »Ihre schraffenhafte Dichte drängt die Komposition zu malerisch-toniger Gestaltung.« Der Grafiker nähert sich Goethe mit einer behutsamen, achtungsvoll den Text begleitenden Erzählweise, durchaus zurückhaltend in ihrem Anspruch auf Modernität. Wie anders Ruth Knorr mit ihren Illustrationen zu den »Novellen«. Die technisch raffinierten Zeichnungen muten wie Lithografien an und verblüffen durch eine hier unerwartete, fast zeremonielle Naivität. Ruth Knorr nimmt Goethe ohne Umschweife in ihre eigene eigentümliche Innenwelt herein und stellt die Figuren auf eine Art Traumbühne, auf der sie langsam und gravitätisch agieren.
Der Autor hat selbstverständlich die gelegentlichen Illustrationen oder Bilder zu Büchern mit einbezogen, die von Malern stammen und allemal eine wichtige Bereicherung darstellten: so unter anderem von Albert Ebert und Arno Mohr, so von Harald Metzkes und Dieter Goltzsche. Und er hat der Künstler gedacht, die er »Gäste« nennt: Grafiker, die zu ihrer Zeit, außerhalb der DDR lebend, in ihr eine große Resonanz fanden: zum Beispiel der weltbekannte Flame Frans Masereel, der Russe Anatoli Kaplan und nicht zuletzt HAP Grieshaber mit dem großartigen »Baseler Totentanz«.
Nie wird ein solches Buch sich gänzlich frei halten können von Vorwürfen, dieses oder jenen müsse man leider vermissen. Langs Buch in seiner geradezu überbordenden Fülle war dringend auf Begrenzung des tatsächlich weit verzweigten Gegenstandes angewiesen. So hat sich Lothar Lang konsequent auf die literarisch inspirierte Illustration beschränkt. Damit musste die didaktische Illustration ausgeschlossen werden, Schulbuch und Sachbuch also haben hier keinen Platz gefunden. Das ist zu bedauern, hat es doch gerade auf diesen Gebieten in der DDR international beachtliche Leistungen gegeben, aber es ist begreiflich. Das Kinderbuch treffen ein paar Streiflichter, die angeführten Beispiele widmen sich den literarischen Texten des Jugendbuches. Hier wird natürlich unter anderem der herausragende Klaus Ensikat gewürdigt.
Ganz besonders ist zu begrüßen, dass der Autor radikal alternative Vorstellungen jener Künstler mit einbezogen hat, die in den achtziger Jahren »das Postulat der absoluten Freiheit des künstlerischen Schaffens rigoros zu verwirklichen« suchten. Wie immer man im Einzelnen zu den Ergebnissen auch stehen mag, ohne sie, ohne die »Bibliophilie der Andersdenkenden«, wäre das geistige Klima dieser Jahre auch auf dem Gebiet der Buchkunst nicht zutreffend erfasst.
Einen abschließenden Höhepunkt bilden die Kapitel zum Künstlerbuch. Handelt es sich auch mitunter um verschwindend kleine Auflagen, so ist die noble Exklusivität der Maler- oder Künstlerbücher in der Buchkunst völlig unentbehrlich. Ihre durch keinen Kompromiss eingeschränkte Schönheit, ihr entschiedener Wille zur Geistigkeit ließen Denkmale reifen, die zu den besten Kunstzeugnissen ihrer Zeit gehören. Man muss sie nicht, wie mitunter geschehen, gegen das Auflagenbuch ausspielen wollen, beide, das Künstlerbuch und das industriell gedruckte Buch haben verschiedene Aufgaben und Verdienste und können je auf ihre Art Vollkommenheit erreichen. Ein Grafiker wie Horst Hussel hat in beiden Bereichen Bleibendes geleistet. Allein etwas scheinbar so Beiläufiges wie die 113 Vignetten, die Hussel zur »Weißen Reihe« des Verlages Volk und Welt beigesteuert hat, beweisen Geist und stets inspirierten Formensinn in hoher Vollendung. Lothar Reher hat sowohl diese »Weiße Reihe« wie auch die Schwarzweiß-Umschläge der Spektrumreihe in unvergesslich einprägsamer Weise gestaltet.
Das letzte Kapitel in Langs Buch muss dem hohen Rang Gerhard Altenbourgs gelten, dessen Name schon im Titel des Buches angekündigt wird. Wie viel Geduld, Begeisterung und Liebe zum vollendet schönen Buch gehörten für den Künstler Altenbourg wie für die Herausgeber, für die Mitarbeiter des Reclam-Verlages dazu, sechs Jahre (!) an dem Werk »Wund- Denkmale« zusammenzuwirken. Es bezeugt als »Erster Druck der Dürer-Presse« (in der Leipziger Ausgabe) nicht zuletzt auch ein beispielhaftes verlegerisches Engagement. Der Autor nennt es zu Recht »eines der schönsten Malerbücher aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts«.
Das Buch Lothar Langs überzeugt durch die begeisterte Sachkenntnis des Autors, seine langjährige wache Beobachtung und sein sicheres persönliches Urteil. Der Leser muss sich nicht allen Urteilen im Einzelnen unbedingt anschließen; immer jedoch darf er das Gefühl haben, dass hier von einer Kunst die Rede ist – ein Gefühl, das kunstwissenschaftliche Texte durchaus nicht immer vermitteln. Lang liefert sehr einfühlsame Beschreibungen künstlerischer Leistungen und er zitiert auch dankenswerterweise solche anderer Autoren aus Katalogen und Monografien.
Hier und da wirft Langs Charakterisierung von Zeichenkunst auch Fragen auf; dass mitunter sehr subjektive Feststellungen aufmerken lassen, ist wohl unvermeidlich. Aber dazu gibt es ganz gewiss verschiedene Auffassungen und gerade dies gehört zu den anregenden Momenten der Lektüre. Für einen Mangel im Ordnungsprinzip des Buches kann der Rezensent allerdings weniger Verständnis aufbringen. Der Autor nimmt Namen in seine Überschriften auf, gewissermaßen stellvertretend für eine stilistische Richtung, behandelt aber im entsprechenden Artikel weitere nicht weniger bedeutende Illustratoren. Das verwirrt die Übersicht. So werden unter dem Titel »Polaritäten: Etwa Hermann Glöckner und Hans Grundig« auch Künstler wie Max Lingner, Heinrich Ehmsen und Gabriele Mucchi behandelt. Dadurch wird ganz unnötig der Eindruck einer Rangordnung hervorgerufen, wo man besser von Gleichen unter Gleichen spräche. Das kann der Autor nach seinem allenthalben bewiesenen Bemühen um Gerechtigkeit so nicht gemeint haben. In keinem seiner sehr ähnlich strukturierten Bücher über Buchkunst hat der Autor sich zu dieser vermeidbaren Notlösung verleiten lassen. (Hier hätte übrigens die Typografie des Buches mit ihrem Marginalienrand recht gut Abhilfe schaffen können).
Es gibt dann freilich eine Stelle, an der der Rezensent ganz entschieden widersprechen möchte. Unter der Überschrift »Karikatur und Humorzeichnung: Zu Rolf F. Müller und Thomas Schleusing« wird auch der Grafiker Volker Pfüller beiläufig behandelt und dort erlaubt sich Lothar Lang eine regelrechte Abfertigung. Charakterisierungen wie »fetziger Stil« und »eklektische Karriere« bezeugen ein bedauerliches Fehlurteil in einem sonst so toleranten Buch. Es ist kaum zu übersehen, dass die professionelle Buchillustration in der DDR, teilweise zumindest, in den späteren Jahren von einer gewissen Biederkeit gekennzeichnet war, einem etwas provinziellen Harmoniebedürfnis. Dem standen einige Grafiker und Maler natürlich schroff entgegen, und zu den wirksamsten (außerhalb einer provokanten Avantgarde) gehört Volker Pfüller. Seine Zeichnungen waren bereits damals von Unruhe erfüllt, einer Unruhe, die sich nicht an irgendeinem klassischen Kanon des Zeichnens beruhigte. Schroff und aggressiv, mit einer gewissen manieristischen Lässigkeit vorgetragen, waren seine Zeichnungen doch wesentlich zeithaltiger, irritierender als manches, was gegen Ende dieses Buch als einstens zeitgleich aufgeführt wird. Heute so interessante Grafiker wie Anke Feuchtenberger und Norbert Wagenbreth sind direkt oder indirekt einmal von ihm ermutigt worden.
Viele Leser und beglückte Betrachter dieses großartigen Buches werden vielleicht fragen, gibt es denn außer den nun bereits historischen Schätzen in Bibliotheken auch ein lebendig fortwirkendes Erbe in der Buchillustration? Auf der letzten Seite seines Buches verweist Lothar Lang, nicht ohne hintergründigen Humor, auf das wirklich letzte Buch der DDR, ein bibliophiles Bändchen, ausgeliefert in ihrer letzten Sekunde vor Mitternacht. Er ließ sich nicht zu voreiligen neuen Bilanzen und Bewertungen verleiten, dazu ist es zu früh.
Langs reich angelegtes Werk ist ein dankenswert gründliches und überzeugendes Dokument einer abgeschlossenen Epoche der Buchkunst. Was der Kritiker nicht unerwähnt lassen kann, betrifft die missglückte Gestaltung des Leineneinbandes mit unerlaubt verkleinerten Hegenbarth-Illustrationen bei einem ansonsten erfreulich klaren Layout im Innenteil, sorgsamen Lithografien (durchgehend zweifarbig) und sauberer Typografie. Wirklich betrüblich ist der enorme Preis, der nun alles Vergleichbare aus dem Felde schlägt. Man möchte dem Verlag dringend eine Ausgabe mit schlichter Broschur empfehlen, sonst bleibt diese wichtige Publikation ohne die ihr gebührende Öffentlichkeitswirksamkeit.
Wer sich dafür interessiert, was heute jungen Buchillustratoren einfällt, wohin sich experimentierfreudige Buchkunst bewegt, sofern sie in der Praxis überhaupt respektiert wird, dem sei eine Publikation der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst empfohlen: »Faszination Buch. Tradition und Experiment«. Leipzig 2000.

Lothar Lang: Von Hegenbarth bis Altenbourg. Buchillustration und Künstlerbuch in der DDR. Hauswedell Stuttgart. 284 Seiten, gebunden, 398 DM.