Redaktionsschluss 16. Juli 2010
Eva-Maria
Hanebutt-Benz
Herta Müller.
Der kalte Schmuck des Lebens
Das Athen der
Welfen
Moderne
Bucheinbände in Mainz
„Farbe als
absolute Kraft“
Historische
Einbände im Internet
Pomeranica auf
Reisen
Pressebörse
Kinder- und Jugendbuch
Ein neuer Band
des Deutschen Schriftstellerlexikons 1830-1880
Der Tod des
Vergil, illustriert von Anselm Roehr
Georg-Herwegh-Gesamtausgabe
Erwin
Strittmatter und der Krieg unserer Väter
Eva-Maria
Hanebutt-Benz beendet Direktorat des Gutenberg-Museums. Nach 22 Jahren
Leitung des Mainzer Gutenberg-Museums ging Dr. Eva-Maria Hanebutt-Benz am 31.
März in den Ruhestand. Kenner und Freunde des international bekannten Museums
der Druckkunst äußerten sich bedauernd, daß mit dem Ausscheiden der engagierten
Direktorin wohl eine Ära zu Ende gehe. Eva-Maria Hanebutt-Benz ist das stetig
gewachsene weltweit hohe Ansehen und die wissenschaftliche Reputation der
Mainzer Institution zu verdanken. Die 1947 in Hamburg geborene
Kunstwissenschaftlerin war vor ihrer Zeit im Gutenberg-Museum als Kuratorin der
Buch- und Graphikabteilung im Museum für Kunsthandwerk in Frankfurt/Main tätig.
Hier war sie verantwortlich für interessante Ausstellungen wie Kunst des Lesens.
Viel beachtete Ausstellungen im Gutenberg-Museum tragen ihre Handschrift. Zu
nennen sind vor allem die Präsentationen Gedruckte Musik, Gutenberg – Aventur
und Kunst und Buchdruck in Ostasien. Der Druckgeschichte in Fernost, vor allem
in China und Korea, galt die besondere Zuwendung der Mainzer Direktorin. Durch
mehrere Reisen knüpfte sie wichtige Kontakte zu dortigen Museen und
Forschungsstätten. Wertvolle Exponate zu frühen asiatischen Drucktechniken
konnte sie für Mainz erwerben.
Im Jahr 2000 verantwortete Hanebutt-Benz großartige Ausstellungen und
Veranstaltungen zu den Jubiläen „600 Jahre Gutenberg“ und „100 Jahre Museum“,
die weltweit Beachtung fanden. Hanebutt-Benz betrachtet als besondere
Glanzlichter ihres Direktorats die Digitalisierung der Gutenberg-Bibel und die
Übernahme einer großen Privatsammlung zur Zeitungsgeschichte. Die Erweiterung
der Sammlung von Druckerpressen aller Technologiestufen und von Exponaten zur
modernen Einbandkunst ist ihr zu verdanken. Für mehrere Ausgaben des Imprimatur,
der Jahresschrift der Gesellschaft der Bibliophilen, zeichnete Eva-Maria
Hanebutt-Benz als Herausgeberin verantwortlich. Bis 2009 war sie auch als
Vorsitzende der Maximilian-Gesellschaft tätig. Ehrenamtlich will die Pensionärin
weiterhin dem Buchwesen verbunden bleiben.
Als Nachfolgerin im Direktorat des Gutenberg-Museums berief die Stadtverwaltung
Dr. Annette Ludwig. Die 1963 in Karlsruhe geborene Kunsthistorikerin war zuletzt
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Städtischen Museum Heilbronn.
Ferdinand Puhe

Herta Müller. Der kalte Schmuck des Lebens.
Unter diesem Titel zeigte vom April bis Juni das Literaturhaus München eine
Ausstellung, in der Leben und Werk der Literaturnobelpreisträgerin erstmals
vorgestellt wurden. Weitere Stationen der Ausstellung sind vom 24. September bis
21. November das Literaturhaus Berlin und ab 9. Dezember das Literaturhaus
Stuttgart. Die Exponate kommen aus dem Privatarchiv von Herta Müller, ergänzt um
Zeugnisse aus dem Besitz von Freunden und Weggefährten vor allem
rumäniendeutscher Herkunft. Müller wurde 1953 in einem Dorf der rumänischen
Provinz Banat geboren. Das Schicksal der Banater Deutschen, unter
österreichischer Herrschaft am Ende des 18. Jahrhunderts nach Rumänien
eingewandert, bildet im Guten wie im Schlechten den Hintergrund für Müllers
Werk, das vornehmlich aus Erzählungen, Kurzgeschichten und Romanen besteht. Die
Ausstellung dokumentiert eindringlich den autobiographischen Hintergrund von
Müllers Erzählen. Müller litt schwer unter der Nähe einiger Familienangehörigen
zum Nationalsozialismus. Andererseits sah sie früh die Ungerechtigkeit, daß der
unbeteiligte Großvater, ein wohlhabender Getreide- und Kolonialwarenhändler,
nach dem Krieg im Zuge der sozialistischen Umgestaltung enteignet und in die
Armut getrieben wurde, während die Mutter Zwangsarbeit in der Ukraine leisten
mußte. Müller erhielt ihren Vornamen nach einer Freundin der Mutter, die im
Lager ums Leben kam.
Doch Müllers Erzählungen sind alles andere als verklärende Heimatbilder.
Namentlich ihr erstes Buch Niederungen (1982) wurde von vielen braven
Banaterdeutschen als Nestbeschmutzung empfunden, weil Müller darin Biederkeit,
Rückständigkeit und Intoleranz der Dorfgemeinschaft gegenüber Andersartigen
geißelt. Auch die Presse der heimatvertriebenen Donauschwaben in Deutschland
sprach von einer „Apotheose des Häßlichen und Abstoßenden“ und rückte Müller in
die Nähe von Çeauşescus Politik zur Untergrabung des Deutschtums in Rumänien.
Aus den Akten der Securitate wird belegt, daß Müller die Erlaubnis zu
Veröffentlichungen und Lesereisen im Westen erhielt, um damit diese Legende von
Müllers Nähe zum Regime zu untermauern. Herta Müller hat ihre Verfolgungen durch
die Securitate unlängst in einem eigenen Buch Cristina (2009) dargestellt. Ein
weiteres Kapitel in der Ausstellung gilt dem letzten Buch Atemschaukel, in dem
Müller die Erlebnisse des Lyrikers Oskar Pastior verarbeitet, der wie die
meisten Rumäniendeutschen zwischen 17 und 45 Jahren entscheidende Jahre seines
Lebens in sowjetischen Lagern verbrachte. Das Arbeitsbuch mit Skizzen von den
Lagerbaracken ist zu sehen ebenso ein Foto von Pastior und Müller von 2004 bei
der Recherche vor Ort in der Ukraine. Zur Ausstellung erschien eine Ausgabe der
München Hefte des Literaturhauses München (Salvatorplatz 1, 80333 München), das
zum Preis von 6 Euro erworben werden kann. Es wurde erarbeitet von den
Ausstellungsmachern Ernest Wichner und Lutz Dittrich.
C. W.

Das Athen der Welfen. Die Herzog
August Bibliothek zeigte vom 7. Februar bis zum 29. August 2010 die Ausstellung
Das Athen der Welfen, zu der ein Katalog erschienen ist: Das Athen der Welfen:
Die Reformuniversität Helmstedt 1576-1810. Hrsg. v. Jens Bruning und Ulrike
Gleixner. Wolfenbüttel: Herzog August Bibliothek, 2010. 325 S. Gr.-8°. Pp.
(Wolfenbütteler Ausstellungskataloge 92) 39,80 Euro. ISBN 987-3-447-06210-7. Die
1576 gegründete Universität Helmstedt, die Academia Julia, war im 16.
Jahrhundert nach Marburg, Königsberg und Jena die vierte und letzte
nachreformatorische protestantische Gründung im Heiligen Römischen Reich. Sie
gehörte in den knapp 240 Jahren ihres Bestehens zu den bedeutendsten Hochschulen
des Reiches. Vor 200 Jahren wurde sie Teil des großen Universitätssterbens, „im
Zuge dessen nahezu die Hälfte aller Hochschulen des Alten Reiches aufgehoben
oder mit anderen Einrichtungen zusammengelegt wurde“ (S. 37). Die hier
veröffentlichten 33 Beiträge sind einer Monographie über die Academia Julia
gleichzusetzen, erschlossen durch ein Verzeichnis der Abkürzungen, ein Quellen-
und Literaturverzeichnis, ein Verzeichnis der Professoren der Helmstedter
Universität, ein Personenregister, einen Abbildungsnachweis und einen
Autorenindex. Helwig Schmidt-Glintzer und Notker Hammerstein führen in die
Geschichte der Academia Julia und ihres Umfeldes ein.
Themen der Ausstellung und damit des Kataloges sind die Entwicklung der
Universität, die Organisationsformen und Rituale, der Professorenhaushalt, die
weit über die welfische Landesuniversität hinaus wirksamen Neuerungen in Lehre
und Forschung wie die Bedeutung einzelner Gebiete (Theologie, Jura, Medizin und
Historia Literaria) und Personen (Georg Calixt, Johannes Caselius, Hermann
Conring, Lorenz Heister) sowie die Vorgeschichte und Geschichte der
Universitätsbibliothek. Letzteres ist von besonderem Interesse für die
Bücherfreunde, Überraschungen sind inbegriffen. Werner Wilhelm Schnabel
beschreibt Stammbücher und Stammbucheinträge aus Helmstedt, eine
„Selbstinszenierung in Texten und Bildern“, als eine universitäts- und
studentengeschichtliche Quelle von besonderem Rang. Werner Arnold gibt eine
erste umfassende Darstellung dieser bedeutenden, heute leider kaum noch
bekannten Bibliotheca Academiae Juliae. Beschrieben werden die Vorgeschichte der
Bibliothek (zum Beispiel die Bücher des Franziskanerkonvents in Gandersheim),
die Infrastruktur der Bibliothek (Budget, Erwerbung, Personal, Unterbringung),
die Bedeutung und der Inhalt der Professorenbibliotheken, der reiche
Handschriftenbestand und seine Katalogisierung durch Helmstedter Professoren wie
Christoph Schrader und Paul Jakob Bruns sowie aus dem unmittelbaren Umfeld der
Bibliothek die Universitätsbuchdrucker und -buchbinder. Nach der Schließung der
Universität setzte die Wanderung der Bücher ein. Wo sich die bemerkenswerten
Bestände der Bibliotheca Academiae Juliae heute befinden, wie sie erschlossen
sind und wie sie benutzt werden können, darüber finden sich in diesem Buch viele
Hinweise. Die Veröffentlichung ist vorzüglich in Inhalt und Form, sie ist neben
Historikern aller Disziplinen Literaturwissenschaftlern und Bücherfreunden
wärmstens zu empfehlen. Eine kleine Ergänzung: Der Helmstedter Professor der
griechischen Sprache Melchior Schmid (1638-1697) hat schon vor 1680 die
studierende Jugend zur Erlangung rechtschaffener Bücher- und
Bibliothekskenntnisse angeleitet – weit vor den Bemühungen in anderen
Universitäten.
Dieter Schmidmaier

Moderne Bucheinbände in Mainz. Unter dem Motto
Moderne Bucheinbandkunst trifft zeitgenössische Druckkunst zeigt das Mainzer
Gutenberg-Museum bis zum 14. November eine Präsentation von sechzig aktuellen
Einbänden der Künstlergruppe MET6. Unter diesem Begriff haben sich sechs
zeitgenössische Buchbinder aus Belgien und den Niederlanden zusammengefunden, um
die Grenzen des modernen Bucheinbandes neu zu definieren – oder gar zu
verschieben. Denn sie verzichten bewußt auf Einschränkungen bei der Wahl von
Material und Technik. Nach Mitteilung des verantwortlichen Kurators Dr. Claus
Maywald genügen die gezeigten Einbände trotz dieser künstlerischen Freiheit
höchsten handwerklichen Ansprüchen. Die Kunstwerke würden den Betrachter
verzaubern, indem sie mit der bibliophilen Gestaltung des Buchinnern
kommunizierten.
FP

„Farbe als absolute Kraft“ – Hans Jüchser in der
Städtischen Galerie Dresden. Ein Hans Jüchser-Katalog. Das monumentale Dresdner
Landhaus, um 1775 von Friedrich August Krubsacius im klassizistischen Stile
erbaut, beherbergt seit dem Wiederaufbau 1963/65 die Städtische Galerie Dresden.
Die großartige Treppenhausanlage mit deutlichen Elementen des Rokkoko führte vom
12. Februar bis zum 16. Mai 2010 in eine außergewöhnliche Doppelausstellung.
Unter dem Titel Bekenntnis in Form und Farbe wurden Malerei von Hans Jüchser
(1894-1977) und Plastik von Friedrich Press (1904-1990) gezeigt. Beide Künstler
repräsentieren mit herausragenden Werken die Dresdner bildende Kunst im 20.
Jahrhundert. Eigens für diese Ausstellung erhielten die Galeriewände einen
ausgewogenen graublauen Farbton, der die prachtvollen Farben der Malerei von
Jüchser und die der Holzplastiken von Press zu bester Wirkung brachte. Hans
Jüchser wird auch mit einem opulenten Katalog (148 Seiten) gewürdigt, der nicht
nur 85 Gemälde farbbrillant abbildet; auch sieben ganzseitige Portraitfotos des
Meisters im Atelier überraschen den Betrachter. Die Ausstellung zeigte auch fünf
farbstarke Monotypien, die leider nicht im Katalog enthalten sind. Linda Karohl
(zur Zeit wissenschaftliche Volontärin) hat in ebenso mühsamer wie liebevoller
Kleinarbeit eine kaum für möglich gehaltene Anzahl großartiger Exponate
versammeln können. Namhafte Museen werden als Leihgeber genannt: die Staatlichen
Museen zu Berlin, Nationalgalerie (deren Bestandskatalog weist allein sieben
großformartige Gemälde aus), die Kunstsammlungen Chemnitz, Dresden, Leipzig,
Weimar. Zu bewundern waren 41 Leihgaben aus Privatbesitz. Erstmals wurde eine
ausführliche Biographie des Künstlers mit 34 weitgehend unbekannten Fotos aus
dessen Privatleben erarbeitet. Sowohl die Textbeiträge von Dr. Gisbert
Porstmann, dem Direktor der Städtischen Galerie Dresden, und von Linda Karohl im
Katalog als auch deren Laudatio zur Ausstellungseröffnung begründen überzeugend
den kunsthistorischen Rang und die „museale Wertschätzung“ des Jüchserschen
Werks. „Wunderbar tröstliche Malerei“ notierte ein Besucher im Gästebuch. Allen
Freunden farbnobler Malerei sei dieser Katalog (18 Euro) wärmstens ans Herz
gelegt.
Robert Wolf

Historische Einbände im Internet. Der jüngste
Zweig der Buchwissenschaft beschäftigt sich mit der Erfassung und Erschließung
historischer Bucheinbände. Da Bucheinbände auch zu den Sammelobjekten von
Bücherfreunden gehören, wird die Nachricht erfreuen, daß die mit der
Einbandforschung befaßten Bibliotheken ihre Ergebnisse mit Hilfe der
Datenverarbeitung einem größeren Kreis zur Verfügung stellen. Diese Datenbanken
gestatten den zeitlich und räumlich ungebundenen Zugang zu Bild- und
Informationsmaterial sowie gezieltes Suchen. Im Mittelpunkt steht das seit 2001
durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziell geförderte Verbundprojekt
„Einbanddatenbank“ (http://www.hist-einband.de). Ihm gehören unter anderem an
die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, die Bayerische Staatsbibliothek
München, die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel und die Württembergische
Landesbibliothek Stuttgart. Das Projekt ist weit fortgeschritten und enthält
gegenwärtig über 60 000 Datensätze. Weitere deutsche Einbanddatenbanken sind die
„Digitale Einbandsammlung der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln“, die
„Einbanddatenbank der Universitätsbibliothek Freiburg“ und die
„Mainzer-Einband-Datenbank“. Für Bücherfreunde interessant dürfte auch die an
der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin erstellte Datenbank
„Verlagseinband digital“ sein (http://amun.ub.fu-berlin.de). Ziel ist die
Erarbeitung eines Modells für eine Verlagseinbanddatenbank des deutschen
Sprachgebietes. Derzeit sind über 350 Einbände zu über 400 Büchern
eingearbeitet. Weitere Informationen finden sich in dem Beitrag Historische
Einbände im Internet: Datenbanken im Vergleich von Rahel Bacher (in:
Bibliotheksdienst H. 3/4, 2010, S. 245-258).
Dieter Schmidmaier

Pomeranica auf Reisen. 1824 wurde in Stettin die
„Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Altertumskunde“ gegründet, die bis
1945 hier ihren Sitz hatte. Von der im gleichen Jahr gegründeten Bibliothek
befinden sich heute umfangreiche Teile in zwei Stettiner Einrichtungen, im
Staatsarchiv und in der Pommerschen Bibliothek. 1954 kam es zur formellen
Wieder- bzw. Neugründung der Gesellschaft mit Sitz in Hamburg mit dem
veränderten Namen Gesellschaft für Pommersche Geschichte, Altertumskunde und
Kunst e.V. Auch die Bibliothek wurde 1954 neugegründet und in der Bibliothek des
Johann-Gottfried-Herder-Instituts in Marburg an der Lahn untergebracht. Nach der
deutschen Wiedervereinigung wurde der Sitz der Gesellschaft 1998 nach Greifswald
verlegt. 2010 ist nun auch die Bibliothek umgezogen. Die rund 35 laufenden Meter
Bücher und Zeitschriften zur Landesgeschichte und Landeskunde Pommerns sind
jetzt Bestandteil der sich im Aufbau befindlichen Spezialsammlung Pomeranica der
Universitätsbibliothek Greifswald, die etwa 30 000 Bände umfaßt. Es handelt sich
um 149 Zeitschriftentitel, darunter die seit 1832 erscheinende wissenschaftliche
Zeitschrift Baltische Studien, und 899 Einzelwerke. Die Bücher werden
gegenwärtig in den Katalog der Universitätsbibliothek eingearbeitet.
Dieter Schmidmaier

Pressebörse Kinder- und Jugendbuch. Unter dem
Motto „7 auf einen Streich“ haben sich bekannte Verlage für Kinder- und
Jugendbücher zusammengetan, um in Pressebörsen ihre Programme vorzustellen. Nach
Zürich, Wien, Hamburg und Köln luden die Verlage atlantis, Carlsen, dtv junior,
minedition, nilpferd in residenz, Tulipan und rororo rotfuchs zur 1. Frankfurter
Pressebörse ein. Am 27. Mai zeigten sie im Lesesaal des Literaturhauses
Frankfurt am Main ihre neuesten Produktionen und Andrucke von Neuerscheinungen,
die im Herbst herauskommen sollen. Die Presseprecher/innen der Verlage standen
Rede und Antwort und erläuterten in Einzelgesprächen die präsentierten Bücher.
So gewann man einen guten Überblick über das vielfältige Angebotsspektrum. Im
Gegensatz zum unruhigen Getriebe auf den Buchmessen in Frankfurt und Leipzig
herrschte eine entspannte Atmosphäre, so daß anregende Gespräche über die
literarischen und gestalterischen Aspekte der einzelnen Objekte möglich waren.
Alle beteiligten Verlage sind etabliert und haben sich bereits einen guten Ruf
auf dem umkämpften Markt für Kinder- und Jugendbücher erworben. Neben guten
Autoren haben sie erfahrene Gestalter gewinnen können, Künstler, welche die Welt
der Kinder und Jugendlichen kennen.
Die Mehrzahl der Neuerscheinungen läßt durchaus eine gewisse Experimentierfreude
erkennen. Das simple Kinderbuch mit einfallslosen Bildchen findet man hier
nicht. Bei den von diesen Verlagen beauftragten Buchgestaltern und Graphikern
handelt es sich in der Regel um gut ausgebildete Hochschulabsolventen, die mit
großem Einfühlungsvermögen die Texte ergänzen und bereichern. Im Einzelfall kann
allerdings aus dem für Kinder oder Jugendliche gedachten Buch eher ein
Sammelobjekt für Erwachsene werden. Das trifft sowohl im Hinblick auf den
anspruchsvollen Text als auch für eine hohe künstlerische Gestaltung zu. Einige
der ausgelegten Bücher wurden bereits mit dem Jugendbuch-Preis prämiert oder
unter die „Schönsten Bücher“ eines Jahres gewählt.
Zwei Bücher seien hier beispielhaft hervorgehoben: Kamel bleibt Kamel – Äsops
Bilderbogen aus dem Residenz Verlag, St. Pölten und Salzburg (ISBN
978-3-7017-2056-9). Die Fabeln wurden neu erzählt und (nicht nur kindgemäß)
interpretiert von Antonie Schneider, die phantasiereichen phantastischen Bilder
dazu wurden geschaffen von Aljoscha Blau. Mit Recht bezeichnet der Verlag das
kleine Kunstwerk als „Hausbuch für jedermann“, denn als Kinderbuch ist es nur
für ein Alter ab etwa zehn Jahren denkbar. Allerdings werden auch Erwachsene
ihre helle Freude daran haben. So wurde das 42 Seiten starke Buch auf festem
Papier mit Recht unter die „Schönsten Bücher Österreichs“ 2009 aufgenommen.
Von ganz anderer Art ist Johanna im Zug von Atlantis/Orell Füssli Verlag, Zürich
(ISBN 978-3-7152-0582-3), das 2009 bereits in zweiter Auflage erschien.
Geschrieben, gemalt und gezeichnet hat mit geradezu überquellender Phantasie
Kathrin Schärer. Die typographische Gestaltung besorgte Manuel Süess. Die mal
farbigen, mal grauweißen Bilder der Geschichte auf zwei Ebenen werden begleitet
von Texten in serifenloser Druckschrift und in Handschrift. Ein Buch, das Kinder
zu ähnlichen Gestaltungen anzuregen vermag. Das Buch wurde für den Deutschen
Jugendliteraturpreis nominiert. – Man darf auf die Herbst-Neuerscheinungen
dieser Verlage gespannt sein.
Ferdinand Puhe

Ein neuer Band des Deutschen
Schriftstellerlexikons 1830-1880 erschienen. Nur zwei Jahren nach dem
letzten Band erschien 2009 der Band „L“ der Fortführung von Goedekes Grundriss
zur Geschichte der deutschen Dichtung (Bearb.: Herbert Jacob und Marianne Jacob.
Berlin: Akademie-Verlag. 547 S. 128 Euro. ISBN 978-3-05-004614-3). Der nächste
Band (M-O) ist schon angekündigt. Damit scheint das Projekt in einem
Zweijahres-Rhythmus zügig voranzuschreiten, was Fluch und Segen zugleich
bedeutet. 1077 sogenannte Minderschriftsteller – welch oft ungerecht verwendeter
Begriff! – werden mit Verweisen verzeichnet, 53 davon in bio-bibliographischen
Beiträgen vorgestellt. Deren Auswahl ist bei der Fülle der Namen schwer
objektivierbar. Die Fülle der versammelten Gelegenheitsautoren und Verfasser von
Trivialliteratur verweist auf die noch zu leistenden Forschungsaufgaben. Dieser
Band wirkt in dieser Hinsicht sicher als ein Katalysator, nicht zuletzt weil er
das bisher Geleistete kompiliert. Ob separat oder übergreifend, die
literarischen Tendenzen des 19. Jahrhunderts finden hier ihren personellen
Niederschlag. Gerade Bibliophile mit speziellen Forschungssammlungen dürften
sich durch das Lexikonprojekt angesprochen fühlen, es zu nutzen oder ihm
zuzuarbeiten. Zu den ausführlich bearbeiteten Personen gehören Adolph L’Arronge,
Kurd Laßwitz, Ferdinand Lassalle, Heinrich Laube, Fanny Lewald und Paul Lindau.
Wer die zum Teil ausufernde und schwer überschaubare, weil auch an entlegener
Stelle erscheinende Sekundärliteratur aktuell herbeiziehen will, ist auch
weiterhin auf Spezialbibliographien angewiesen. Alles andere würde den
zeitlichen Bearbeitungsrahmen des Projektes sprengen. Was den Wert des Lexikons
jedoch kennzeichnet und worin es sich von anderen in der Exaktheit der
Informationen unterscheidet, ist das Autopsieprinzip und die Auswertung von
Primärquellen, wie Kirchenbüchern und Nachlässen. Der Anspruch, ein
fachübergreifendes Lexikon für das literarische Leben im Deutschland des 19.
Jahrhundert zu schaffen, bleibt bestehen. Dieses Desiderat wird hoffentlich bald
mit dem Abschluß des Werkes entfallen.
Jürgen Gottschalk

Der Tod des Vergil, illustriert von Anselm
Roehr. Der Tod des Vergil von Hermann Broch gehört zu den bekanntesten
Epochenbilanzen der deutschen Nachkriegsliteratur, 1945 am Ende des großen
Infernos im amerikanischen Exil erschienen. Die Wirkungsgeschichte des Romans
bleibt weit hinter der Bedeutung des Buches zurück, wie Durs Grünbein in der
kürzlich erschienenen Ausgabe des Keicher Verlages Warmbronn darstellt. Er
spricht von einem „dauernden Mißerfolg“, der sich von Beginn an abzeichnete.
Grünbein bekennt sich zu dem Roman, dessen lyrische Komposition ihn nachhaltig
beeinflußt habe. Broch hatte zehn Jahre seines Lebens daran gearbeitet. Das Werk
handelt vom Sterben des Dichters Vergil und zugleich vom Sinn der Kunst. Es
liegt wohl in dieser Ausgabe erstmals illustriert vor: Anselm Roehr / Hermann
Broch: Der Tod des Vergil. Ausgewählte Texte. Mit 32 Zeichnungen. Einführung von
Durs Grünbein. 144 Bl. 30 x 42 cm. Br. Auflage 180 Exemplare. 90 Euro. ISBN
978-3-938743-77-5.
Der Zeichner Anselm Roehr hat das Erscheinen seines Buches noch erlebt, ehe er
im April dieses Jahres in Gardone Riviera (Oberitalien) starb. Nach einer
dreibändigen Ausgabe von Dantes Divina Commedia / Göttlicher Komödie
(zweisprachig, auch bei Keicher erschienen), ist die Broch-Ausgabe erst sein
zweites Buch und mithin sein Vermächtnis. Geboren 1941 in Frankfurt am Main,
hatte er an der Staatlichen Hochschule für bildende Künste, Kassel, und an der
Königlichen Akademie für Kunst und Gestaltung‚ s-Hertogenbosch, Holland,
studiert. Die meiste Zeit seines Lebens betrieb er in München eine Glasbaufirma,
die sowohl im künstlerischen als auch im technischen Bereich tätig war. Nach dem
Eintritt in den Ruhestand widmete sich Anselm Roehr an seinem Alterssitz in
Oberitalien ganz der freien Kunst, der er sich zuvor nicht hingeben konnte. Es
entstanden umfangreiche, großformatige Zeichnungszyklen, die von der Literatur
inspiriert sind. Seine Themen reichen vom griechischen Altertum über biblische
und klassische Stoffe bis in die moderne Literatur. Zuletzt beschäftigte er sich
mit der Genesis, konnte diesen Zyklus aber nicht mehr vollenden. Die Originale
mit religiösen Themen werden künftig im Museo Diocesano in Brescia aufbewahrt,
die Folge zu Hermann Broch geht an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach am
Neckar. Diesen frei interpretierenden, ganzseitigen Zeichnungen zu Broch steht
ein ganzseitiger Textauszug gegenüber. Auch in der Verkleinerung von 42 mal 30
cm sind die Blätter, die im Original 77 mal 57 cm messen, imposant. Dem Verlag
ist es in der Reproduktion gelungen, sowohl die Struktur des Zeichenpapiers als
auch das Gewirr der feinen, mit China-Tusche ausgeführten Striche zur Geltung zu
bringen, deren verästelte Figuren mit den fieberhaften Phantasien des sterbenden
Vergil wunderbar korrespondieren.
C. W.

Georg-Herwegh-Gesamtausgabe. Georg Herwegh
(1817-1875) gehört zu den bedeutenden Autoren des 19. Jahrhunderts, dessen
Gedichte während des Vormärz großen Einfluß auf die Zeitgenossen hatten. Bis vor
kurzem harrte sein Werk, zu dem neben der Lyrik auch Prosa und Publizistik
gehören, einer gründlichen wissenschaftlichen Bearbeitung und Kommentierung. Er
hinterließ auch zahlreichen Briefe, die bis heute unveröffentlicht sind. Seit
einigen Jahren publiziert der Aisthesis Verlag in Bielefeld eine auf sechs
umfangreiche Bände geplante Kritische und kommentierte Gesamtausgabe der Werke
und Briefe, die von Ingrid Pepperle in Verbindung mit Volker Giel, Heinz
Pepperle, Norbert Rothe und Hendrik Stein herausgegeben wird. Die Initiative zu
der Ausgabe geht noch auf Bruno Kaiser zurück, der selbst Auswahlbände von
Herwegh herausgab. Bereits erschienen sind ein Band Gedichte 1835-1848 und zwei
Bände Briefe 1832-1848 und 1849-1875. Geplant sind ein weiterer Band mit den
1849 bis 1875 erschienenen Gedichten und Gedichten aus dem Nachlaß sowie zwei
Bände Prosa. Nähere Informationen finden sich unter www.georgherwegh-edition.de.

Erwin Strittmatter und der Krieg unserer
Väter. So lautet der Titel eines Buches (Das Neue Berlin, 224 S., Br. 12,95
Euro, ISBN 978-3-360-01988-2), in dem der Autor Günther Drommer Strittmatters
Weg durch den Zweiten Weltkrieg verfolgt. 2008 war der Ruf des Schriftstellers
aus der Lausitz ins Wanken geraten, als der Publizist Werner Liersch
Strittmatters Dienst in einer der SS unterstellten Polizeieinheit, dem
SS-Polizei-Gebirgsjäger-Regiment 18, nachwies. Daran schloß sich eine breite
Debatte in den Medien, ob und an welchen Verbrechen Strittmatter und seine
Einheit beteiligt waren und warum Strittmatter nach dem Krieg seinen Dienst in
der SS verschwiegen habe. Drommer, der die erste Biographie Strittmatters
verfaßt hat, untersucht in seinem neuen Buch die wenigen Dokumente, die
inzwischen bekannt sind, und polemisiert dabei scharf gegen übereilte
Schlußfolgerungen und bequeme moralische Entrüstung der nachgeborenen
Generationen. Strittmatter (1912-1994) arbeitete am Beginn des Krieges in der
„Thüringer Zellstoff AG“ in Schwarza, die als kriegswichtig der SS unterstellt
war. 1940 kam es zu einer Musterung durch einen SS-Untersturmführer, über die
eine Karteikarte angelegt wurde. Nicht ersichtlich ist, zu welchem Zweck und auf
wessen Initiative diese Musterung stattfand.
1941 wurde Strittmatter zum Dienst in dem Polizei-Bataillon 325 der
„Ordnungspolizei“ einberufen, die wie die gesamte Polizei dem Reichsführer der
SS Himmler unterstellt war. 1942 wurde die Einheit in das
Polizei-Gebirgsjäger-Regiment 18 eingegliedert und 1943 auf zentralen Befehl
nach außen sichtbar mit dem Zusatz SS versehen. Die Führungskräfte besaßen
zugleich einen Dienstgrad der SS, während das Fußvolk, zu dem Strittmatter,
zuletzt als Oberwachtmeister (gleich Gefreiter), gehörte, meist nicht Mitglied
der SS war. Die Einheit rückte nach der Ausbildung in Eilenburg geschlossen in
den Krieg, zuerst für kurze Zeit nach Kraków, wo in dieser Zeit ein Massaker an
Juden begangen wurde, dann nach Slowenien, Finnland, Griechenland und wieder
Slowenien. Sie hatte alle Aufgaben einer Besatzungstruppe zu erfüllen und war,
wie aus militärgeschichtlichen Publikationen hervorgeht, auch besonders in
Slowenien und Griechenland an der „Partisanenbekämpfung“, einschließlich
Vergeltungsmaßnahmen an der Zivilbevölkerung und Geiselerschießungen, beteiligt.
Strittmatter war nach seinen Angaben die ganze Zeit als Schreiber im
Bataillonsstab beschäftigt, unter anderem mit der Führung des Kriegstagebuchs.
Drommer schlußfolgert, daß Strittmatter aus diesem Grund an den Repressalien
gegen die Zivilbevölkerung nicht beteiligt gewesen sein dürfte, aber von den
Untaten gewußt haben muß.
1944 wurde er zur Film- und Bildstelle der Ordnungspolizei nach Berlin-Spandau
versetzt, von wo er sich einige Monate vor Kriegsende nach Böhmen absetzte, de
facto desertierte. In Wallern (Volary) erlebte er im Unterschlupf bei einer
Bauernfamilie den Einmarsch der Amerikaner. Er wurde von amerikanischen und
tschechischen Behörden verhört, jedoch nicht als Kriegsgefangener interniert.
Schließlich konnte er auf einem amerikanischen Militärlastwagen nach Thüringen
fahren, wo seine Frau, von der er getrennt war, und seine beiden Söhne lebten.
Für sie sorgte er in der nächsten Zeit durch Arbeit in einer Gärtnerei. Auch die
russische Militäradministration, die Thüringen bald übernahm, ließ Strittmatter
unbehelligt. Strittmatter gab in einigen überlieferten Fragebögen und
Lebensläufen seinen Dienst in der Ordnungspolizei an, allerdings ohne den
Namenszusatz SS. Seine Vergangenheit wurde im Auftrag des ZK der SED noch einmal
durchleuchtet, als er 1958 das Amt des 1. Sekretärs im Schriftstellerverband
übernahm. Auch dafür schrieb Strittmatter eine Stellungnahme, in der er ganz
allgemein von seinem Anteil Schuld spricht. Drommer führt auch viele Stellen im
Roman Der Wundertäter I (1957) und in der Erzählung Grüner Juni (1985) an, in
denen Strittmatter biographische Stationen und Ereignisse aus seiner Kriegszeit
verarbeitete. Viele Fragen bleiben offen, zumal das im Besitz der Familie
befindliche Privatarchiv weiterhin nicht zugänglich ist, doch für eine
abschließende moralische Verurteilung ist es sicher zu früh.
C. W.

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