Redaktionsschluss 4. Juli 2007

Wir gratulieren unseren Mitgliedern
Neue Mitglieder
Zum 75. Geburtstag von Renate Gollmitz
Sprachblätter von Carlfriedrich Claus
Besuch im Karl-Scheffler-Archiv der Akademie der Künste Berlin
Bibliophile Tournee durch Leipzig
Signographie – die Lehre der graphischen Zeichen
Späte Erinnerungen eines Kunstsammlers
Zu Besuch bei Max Klinger und Friedrich Nietzsche
Anläßlich des 150. Geburtstages Max Klingers
Das Marx’sche Redaktionsexemplar der Neuen Rheinischen Zeitung –
     Irrweg und Wiederentdeckung eines verschollen geglaubten Dokumentes
Widmungsexemplare und signierte Bücher
„Schönste Bücher“ in der Regionalgruppe Rhein-Main-Neckar
Thomas Mann – Illustrierte Ausgaben


 

 


 

Wir gratulieren unseren Mitgliedern. Zum 50. Geburtstag: Dr. Renaldo Faber (Leipzig) am 3. 11. – Zum 60. Geburtstag: Wolfgang Wissing (Hückelhoven) am 9. 12., Dr. Erich Krämer (Bad Soden) am 21. 12. – Zum 65. Geburtstag: Hans-Martin Vieth (Berlin) am 3. 10. – Zum 70. Geburtstag: Josef Walter (Rellingen) am 3. 10., Ewald Kramer (Offenburg) am 6. 10., Zoltán Zsilla (Leipzig) am 6. 11. – Zum 75. Geburtstag: Renate Gollmitz (Berlin) am 1. 10. – Zum 85. Geburtstag: Karl Ludwig Leonhardt (Hamburg) am 14. 10. – Zum 87. Geburtstag: Prof. Dr. Wolfram Körner (Berlin) am 20. 11. – Zum 93. Geburtstag: Ursula Krüger (Potsdam) am 26. 11.

Neue Mitglieder: Dr. Ralph Aepler, Angestellter, Mannheim. Volker Riepenhausen, Antiquar, München.

Zum 75. Geburtstag von Renate Gollmitz. Hat nicht kürzlich erst Ilse Bornitz im Namen der Berliner Pirckheimer unserer treuen Freundin zum 70. Geburtstag gratuliert? (Marginalien, H. 168, 2002.) Nun feiert Renate Gollmitz am 1. Oktober schon ihren 75. Geburtstag.

Die vielfältigen Aktivitäten der allseits geschätzten langjährigen Mitarbeiterin der Staatsbibliothek zu Berlin an der Seite von Prof. Dr. Horst Kunze, ihr Wirken für die Buchkunst, unsere Gesellschaft und die Marginalien (zahlreiche Jahrestreffen und Pirckheimer-Abende hat sie dokumentiert) sollen hier nicht erneut aufgereiht und gewürdigt werden. Zum Kinderbuch, zum Werk von Werner Klemke und Herbert Sandberg, zu ihrem Sammelgebiet, dem Lesezeichen, hat sie sich kundig und liebevoll geäußert. Mit besonderer Freude erinnere ich mich unserer gemeinsamen Kinderbuch-Ausstellung Wunderland (1999) in der Burg Beeskow, wo ihre zauberhaften Lesezeichen für Kinderbücher der Anziehungspunkt schlechthin waren.

Bis heute arbeitet sie im Vorstand der Berlin-Brandenburger Regionalgruppe und fehlt nie, wenngleich es ihr inzwischen gesundheitlich leider nicht immer gut geht. Sie wird uns weiterhin die Treue halten, auch wenn sie am Jahresende aus dem Vorstand auf eigenen Wunsch ausscheiden wird. Wir wünschen ihr Kraft und Unternehmungsgeist, vor allem gesundheitliches Wohlergehen, und gratulieren in herzlicher Verbundenheit und Dankbarkeit.

Ursula Lang

Sprachblätter von Carlfriedrich Claus waren Gegenstand des Berlin-Brandenburger Pirckheimer-Treffens am 19. April. Dr. Annette Gilbert referierte zu dem Thema Blätter, Mappen, Aggregate, Kombinate. Die Experimentalschrifträume von Carlfriedrich Claus. Ausgehend von dem selbst gewählten Eremitendasein des Autodidakten, seinen vielfältigen philosophischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Ansätzen und Kontakten (22 000 Briefe befinden sich im Chemnitzer Claus-Archiv!) führte Annette Gilbert in die faszinierende, wenn auch zunächst hermetisch wirkende Lebensarbeit des Künstlers ein, der nach wie vor zu wenig bekannt, aber heute weithin anerkannt ist. Im Berliner Reichstagsgebäude ist, wenngleich unvorteilhaft präsentiert, sein Experimentalschriftraum Aurora zu sehen.

Claus verstand sich ganz unmittelbar als Hersteller von Texten. So ging die Referentin den Fragen nach: Wie sehen diese Texte aus? Sind es Texte? Die Zuhörer erfuhren von frühen Lautexperimenten schon in den fünfziger Jahren, Sprechoperationen, die selten schriftlichen Niederschlag fanden, von weitergehenden Experimenten auf diesem Gebiet, die zu Lautüberlagerungen (Rauschen) führten, über Verformungen und Entstellungen zur Herstellung „objektiver Sprechklänge“. Daneben experimentierte Claus unter anderem mit Letternfeldern und Vibrationseffekten, erprobte das Zusammenspiel von schriftlichen und lautlichen Arbeiten. Näher beleuchtet und dadurch einleuchtend wurde das Vibrations-Phänomen (Unerschöpflichkeit, kein Festpunkt) beispielhaft an dem Sprachblatt Der Beginn der Thora vom Anfang der sechziger Jahre. Ende der sechziger Jahre fand Claus zu figurativen Strukturen, die mit dem Sprachblatt Beginn eines Briefes an Will Grohmann demonstriert wurden.

Als Beispiel für die zyklischen Hauptwerke stand im Mittelpunkt des Vortrags die Aurora-Mappe (1977), in der durch überlagernde Durchdringung, Umblättern, Verschiebung transparenter Einzelblätter wechselnde Raum- und Formbildungen erreicht werden. Aus der Aurora-Mappe hat Claus zwischen 1993 und 95 den Experimentalschriftraum Aurora entwickelt: Die Mappenblätter wurden vergrößert, auf durchsichtige Plexiglasplatten transponiert und so positioniert, daß sich der Betrachter zwischen ihnen bewegen kann, sich immer wieder selbst begegnet und in die Schrift verstrickt sieht, in den Text hineingezogen wird und selbst zum Akteur eines Netzwerkes mit unendlichen Beziehungen wird. Jede Konstellation hat ihre Berechtigung, es gibt keine einzig wahre oder ideale Perspektive. Natürlich kann das zu Irritationen des Betrachters führen, er „muß“ sich konzentrieren und fordern, kann sich aber auch verweigern; es ist alles offen. Mit einem flüchtigen Aha-Blick ist jedenfalls nichts zu erreichen. Der Experimentalschriftraum und auch die Workbox (1990) hebeln den Anspruch auf die einzige Wahrheit aus.

Am Schluß des Vortrags: Verwunderung, Irritation, Herausforderung, Nachdenklichkeit – und herzlicher Beifall. Annette Gilbert freute sich über ein signiertes Probeblatt aus der Workbox.

Ursula Lang

 

Besuch im Karl-Scheffler-Archiv der Akademie der Künste Berlin. Am 24. Mai trafen sich etwa 25 hitzegequälte Pirckheimer im Haus Luisenstraße mit den Räumen des Archivs Bildende Kunst der Akademie der Künste. Michael Krejsa, Leiter der Abteilung, führte uns in die interessante Geschichte des Archivs ein, das einen der bedeutendsten Bestände an Nach- und Vorlässen bildender Künstler, Dokumentationen zu Künstlervereinen und eine Sammlung von 40 000 Fotos in Deutschland besitzt, darunter auch das George-Grosz-Archiv, das John-Heartfield-Archiv und das Karl-Scheffler-Archiv. Für Benutzer sind mittlerweile am wichtigsten die biographischen Hinweise auf rund 17 000 Künstler, die sich in den Beständen verstreut befinden und durch digitale Findhilfsmittel erschlossen sind. Nach einem Rundgang durch das Haus gab es Gelegenheit, einige Originale zu besichtigen, neben biographischen Dokumenten zu Karl Scheffler auch Handschriften von Gerhart Hauptmann, Max Liebermann und eine Originalzeichnung von Max Schwimmer. Dem Referenten Michael Krejsa wurde allgemein für den informativen Abend gedankt!

Hans-Udo Wittkowski
Fotos von diesem Pirckheimer-Abend

Bibliophile Tournee durch Leipzig. Die diesjährige Exkursion führte zirka 30 Pirckheimer aus Berlin und Brandenburg am 23. Juni nach Leipzig. Treffpunkt war das Haus des Buches, in dem uns Herbert Kästner mit einem Vortrag über die Geschichte des Hauses und einer Führung durch die Räumlichkeiten auf das Programm einstimmte. Danach waren Renate und Egbert Herfurth zu Gast, die anschaulich aus ihrer Werkstatt berichteten, Graphik und Bücher mit Illustrationen zeigten und auch zu einem Pirckheimer-Spezialpreis verkauften. Jeder Teilnehmer erhielt ein Exlibris geschenkt! Gestärkt an einem mediterranen Buffet folgten wir Lothar Poethe vom Museum für Buch- und Schriftkunst, der uns fast 90 Minuten durch das Graphische Viertel Leipzigs führte und sehr sachkundig zur großen Geschichte (und leider weniger großen Gegenwart) der Verlags- und Drucklandschaft Leipzigs Auskunft erteilte. Als nächste Station besuchten wir das Museum für Buch- und Schriftkunst in der Deutschen Nationalbibliothek, in dem uns die Verantwortliche für Buchkunst, Gabriele Netsch, anhand von vielen Drucken der letzten hundert Jahre einen Einblick in die Sammlung gab, deren Grundstock durch Julius Rodenberg gelegt wurde. Der Tag klang aus mit einem Besuch der von der Bibliothek veranstalteten umfangreichen Hans-Ticha-Ausstellung. Ticha stellte den Teilnehmern dankenswerterweise den Vorzugsdruck eines Holzschnittes zur Verfügung, der vor Ort für 12 Euro erworben werden konnte. Zur Ausstellung ist ein neuer Katalog erschienen, der bei der Deutschen Nationalbibliothek (Deutscher Platz 1, 04103 Leipzig), erworben werden kann: Hans Ticha. Buch & Grafik 1970-2006. Mit Texten von Stefan Soltek, Michael Faber, Günter Feist und Julia Blume. Leipzig 2007. 93 Seiten, zahlr. farb. Abb. Br. 8°. 15 Euro. ISBN 978-3-933641-81-6; Vorzugsausgabe mit beigefügter Originalgraphik 30 Euro.

Hans-Udo Wittkowski

Fotos von der Leipzig-Exkursion

Signographie – die Lehre der graphischen Zeichen. Am 27. März 2007 galt das Interesse der hallischen Pirckheimer einem Gebiet, dessen so selbstverständlich gewordenes Erscheinungsbild ganz im Widerspruch zu seiner speziellen Thematik steht – das weite Feld der graphischen Zeichen, die seit Jahrtausenden den Alltag der Menschheit begleiten. Seit etlichen Jahren bearbeitet der Leipziger Andreas Stötzner, der Referent des Abends, dieses Gebiet mit wissenschaftlicher Akribie und vermittelt sein Wissen innerhalb des Lehrfaches Typographie an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle und in einer Vortragsreihe an der Denkmalschmiede Höfgen bei Grimma. Gemeinsam mit sprachkundigen Kollegen hat er auch den Begriff der Signographie entwickelt.

In einem anregenden Vortrag, belegt mit zahlreichen Bildbeispielen, gab Andreas Stötzner den interessierten Besuchern eine Einführung in die Signographie und erläuterte das Anliegen seiner Arbeit. Zunächst demonstrierte er anhand von Beispielen die Vielfalt der Zeichen, die sich im Laufe der Menschheitsgeschichte neben der Schrift als ein Kommunikationsmittel entwickelt hat. Längst vertraute Signets wie Verkehrszeichen, Hinweise der Gastronomie oder des Hotelwesens, des Sports, der Medizin oder auch das des Euros auf den Geldscheinen, Bildzeichen also, mit denen wir ständig konfrontiert werden, stehen neben einem weit gefächerten System spezieller Zeichen, das von der Notenschrift bis beispielsweise zu einer Karte für Wasserwanderer reicht. Bei aller Unterschiedlichkeit dieser Zeichen und ihrer Botschaften eint sie die Verwendung graphischer Grundelemente, durch die sie gebildet werden und die die visuelle Kommunikation möglich machen. „Der Sinn signographischer Forschung ist,“ so Andreas Stötzner in einem von ihm erarbeiteten Informationsblatt, „fundierte Erkenntnisse über Entstehung und Entwicklung sowie den Gebrauch von Zeichen zu gewinnen. Es geht um die Kenntnis von Zeichenvorkommen, Verständnis des Zeichenhaften, der Zeichen und ihrer Darstellung. Missverständnisse in Kommunikationsprozessen werden dadurch unwahrscheinlicher. Kommunikation wird effektiver, wenn man genau weiß, wann wo welche Zeichen einzusetzen sind und wie sie auszusehen haben – oder wie sie aussehen können.“ Andreas Stötzner liegt viel daran, das Gebiet der Signographie  „populär“ zu machen und es als eigenes Lehrfach zu etablieren. So fungiert er als Initiator und Mitherausgeber der Schriftenreihe Signa. Beiträge zur Signographie, deren erste Nummer im Jahr 2000 erschien und die es inzwischen auf zehn Hefte gebracht hat (Edition Waechterpappel der Denkmalschmiede Höfgen).

Das Interesse an der Thematik – das hat das Echo dieses Abends in Halle bewiesen – ist groß. Es ist Andreas Stötzner zu danken, daß er seine Zuhörer zu einer nachhaltigen geistigen Beschäftigung mit der Signographie angeregt hat.

Ute Willer

Späte Erinnerungen eines Kunstsammlers. Alle, die mit dem Kunstleben der Saalestadt Halle seit Jahrzehnten vertraut sind, bot der Pirckheimer-Abend am 29. Mai 2007 die Möglichkeit interessanter Wiederbegegnungen. Dr. Rolf Jakob, engagierter Kunstsammler und Mitglied unserer Gesellschaft und vielen durch seine langjährige Tätigkeit als Chefarzt am Merseburger Krankenhaus bekannt, las aus seinen Späten Erinnerungen eines Kunst- und Antiquitätensammlers an die DDR-Zeit, einer kleinen Publikation, die 2006 von der hallischen Galerie Dr. Stelzer & Zaglmaier herausgegeben wurde. Dr. Jakob, der durch seinen Schulfreund, den einstigen Chefkonservator beim Institut für Denkmalpflege in Halle Dr. Hans Berger, seine ersten bewußten Kunsterlebnisse erfuhr und der bis zu dessen Lebensende in engem Kontakt mit ihm blieb, beginnt seine Erinnerungen auch mit einem dankbaren Hinweis auf diesen Freund und Lehrer. Hans Berger hatte nicht nur seine Empfänglichkeit, Freude und auch Kenntnisse an der mittelalterlichen Kunst geweckt und gefördert, er vermittelte ihm auch Kontakte zu hallischen Künstlern der Gegenwart, aus denen oft Freundschaften entstanden, die ein Leben lang oder bis heute halten sollten. Und um diese Freundschaften, die seiner Sammlung auch ihr besonderes Gepräge geben, ranken sich dann auch die Anekdoten und Mitteilungen in Jakobs kunstträchtigen Erinnerungen. Sie reichen bis in die Jahre der Nachkriegszeit zurück. Noch einmal wurden an diesem Abend Künstler wie Karl Rödel, Helmut Schröder, Fritz Freitag, Otto Müller oder der Dessauer Carl Marx lebendig. Besonders ging er auf Albert Ebert und Karl Erich Müller ein, mit dem ihn eine sehr enge Freundschaft verband. Nicht ohne Humor schilderte er die Umstände und mitunter schwierigen Verhandlungen, die den Erwerb des einen oder anderen Sammlungsobjektes vorausgingen oder auch den Ärger mit ignoranten Behörden und dem „wachsamen“ Parteiapparat. Erinnerlich sind auch bei einigen Besuchern jene Kunstausstellungen geblieben, die Rolf Jakob während seiner langen Berufsjahre alljährlich zum „Tag des Gesundheitswesens“ im Kultursaal des Merseburger Krankenhauses initiierte und die dann für einige Wochen auch für die Öffentlichkeit zugänglich waren. Darüber und auch daß viele seiner Künstlerfreunde wohl umsorgte Patienten bei ihm waren, wußte er lebendig zu erzählen. Rolf Jakob verfügt heute über eine große Sammlung. Nicht selten stellt er Teile davon bereitwillig für Ausstellungen zur Verfügung, und seiner Heimatstadt Merseburg schenkte er sogar zwei wertvolle mittelalterliche Sandsteinfiguren, die dort im Museum besichtigt werden können. Viele seiner erworbenen Schätze weisen auch Namen auf, die über Halle hinausgehen, so unter anderen Curt Querner, Harald Metzkes, Peter Sylvester oder Werner Tübke. Immer aber war seine persönliche Vorliebe ausschlaggebend für die Anschaffung eines Werkes, weniger der Preis oder gar die „Mode“, die mitunter über den Wert eines Stückes entschied. Dieser Ehrlichkeit seiner Entscheidungen entspricht auch die lockere Herzlichkeit seiner Späten Erinnerungen, die sich durch seinen eigenen Vortrag an diesem Abend ganz besonders zeigte. Die anwesenden Gäste in der hallischen Stadtbibliothek dankten Dr. Jakob mit reichlichem Beifall.

Ute Willer

Zu Besuch bei Max Klinger und Friedrich Nietzsche. In diesem Jahr führte die alljährliche Exkursion der hallischen Pirckheimer traditionsgemäß am letzten Juni-Wochenende in den Burgenlandkreis und nach Naumburg. Das erste Ziel war das in den Weinbergen bei Großjena gelegene Klinger-Haus, das seit fast einem Jahr wieder erstanden und zu einer würdigen Gedenkstätte des Künstlers neu gestaltet worden ist. Dr. Siegfried Wagner, Direktor des Naumburger Stadtmuseums, führte die Gruppe durch das in herrlichster Landschaft liegende Anwesen, das Wohnhaus, das nahe Radierhäuschen im Weinberg und die eindrucksvolle Grabanlage auf der Anhöhe, wo Max Klinger 1920 und später seine Ehefrau Gertrud ihre letzte Ruhe fanden. Im Wohnhaus des Künstlers, das jahrzehntelang eine Begegnungsstätte für bildende Künstler war und somit auch entsprechende Umbauten erfahren mußte, gibt heute eine Dauerausstellung einen umfassenden Überblick über Max Klingers Leben und Schaffen und insbesondere über seine Zeit hier in diesem Haus am Blütengrund. Der gründlichen Restaurierung ist es zu verdanken, daß der Eindruck des Originalzustandes auch im Inneren des Hauses wieder hergestellt werden konnte. Ein besonderes Interesse erweckte bei den Teilnehmern eine Kabinettausstellung im Untergeschoß des Gebäudes, die den beiden wichtigsten Frauen im Leben Klingers – seiner langjährigen Gefährtin, der Schriftstellerin Elsa Arsenjeff (1868-1941) und seiner späteren Ehefrau Gertrud Bock (1893-1932) – gewidmet war. In der Dauerausstellung konnten die Besucher in einem kurzen historischen Filmdokument die Beisetzung Klingers am 16. Juli 1920 nacherleben. Und an der monumentalen Grabstätte, nur wenige Schritte vom Wohnhaus entfernt, endete die höchst informative und interessante Führung von  Dr. Siegfried Wagner.

Nicht weniger fesselte die Anwesenden anschließend der einführende Vortrag des Germanisten und Kunsthistorikers Kai Agthe im Naumburger Nietzsche-Haus am Weingarten. In diesem Haus lebten die Mutter und die Schwester des Philosophen Friedrich Nietzsche (1844-1900) vier Jahrzehnte lang, und hier pflegte von 1890 bis zu ihrem Tod 1897 die alte Mutter ihren geisteskranken Sohn. Er starb im Sommer 1900 in Weimar, zuletzt betreut von seiner Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche (1846-1935), die mit ihm und seinem gesamten Archiv, das sie 1894 noch in Naumburg eingerichtet hatte, 1896 in die Klassikerstadt Weimar übersiedelte. Hier baute sie nicht nur das Archiv wirkungsvoll zu einer Wallfahrtsstätte für die große Schar der Nietzsche-Verehrer aus, sondern legte auch hemmungslos Hand an das große Werk des Bruder an, indem sie eigenmächtig Texte korrigierte, entstellte oder gar weg ließ, alles mit der Absicht, den Bruder und vor allem auch sich selbst in einem rühmlichen Licht erscheinen zu lassen. Auch Geschäftstüchtigkeit spielte hier wohl eine Rolle. Diese fragwürdig-umtriebige, dabei hoch intelligente Frau steht bis Ende Oktober auch im Mittelpunkt der Sonderausstellung Die unheilige Elisabeth. Nietzsches Schwester. Die Legende einer Meisterfälscherin. Daß ihre Fälschungen dabei keineswegs meisterhaft waren, belegen die ausgestellten Exponate ebenso, wie auch die Tatsache, daß die großen geistigen Fähigkeiten dieser Frau, die sich später auch den Nazis anbiederte, unabhängig von ihrem berühmten Bruder in anderen Bahnen hätte laufen können, wären ihre Lebensumstände andere gewesen.

Beide Begegnungen, die mit dem Künstler Max Klinger und dem Philosophen Friedrich Nietzsche, und den sie begleitenden Gefährtinnen erwiesen sich für alle Teilnehmer dank der ausgezeichneten Einführungen und Informationen von Dr. Siegfried Wagner und seinem Mitarbeiter Kai Agthe als eine anregende Wissensbereicherung.

Ute Willer

Anläßlich des 150. Geburtstages Max Klingers zeigte das Leipziger Museum der bildenden Künste eine weithin beachtete Ausstellung mit dem beziehungsreichen Titel Eine Liebe. Klinger und die Folgen. Am 2. Mai 2007 führte der Ausstellungskurator Dr. Richard Hüttel, Leiter der Graphischen Sammlung des Museums, die zahlreich erschienenen Mitglieder des Leipziger Bibliophilen-Abends durch die umfangreiche Schau. Konzentriert und kenntnisreich erschloß er seiner interessierten Zuhörerschaft vor ausgewählten Objekten gleichsam den roten Faden der Exposition. Dabei erwiesen sich die sechs Ausstellungskapitel (Klingers graphische Folgen / Träume und Alpträume / Die blaue Stunde / Kunstformen des Sozialen / Das Kleid der Nacktheit / Das Unbehagen am Weibe / Das Ziel allen Lebens ist der Tod) als tragfähige Basis, die Grundidee oder -überzeugung des Ausstellungskonzepts umzusetzen und nachvollziehbar zu machen. Klinger war von Beginn an stets mehr als ein lokales oder in der Zeit verhaftetes künstlerisches Phänomen. Er war und ist ein großer Inspirator in der Zeit und über die Zeit hinaus, über Generationen und Grenzen hinweg. Das in dieser Tiefe veranschaulicht zu haben, bleibt die große Leistung dieser Jubiläumsschau. Hüttel wie auch die anderen Autoren des Begleitbuchs zur Ausstellung, die in Kooperation mit der Hamburger Kunsthalle veranstaltet wird, haben hier ganze Arbeit geleistet.

Klingers künstlerische Rolle und Wirkung ist so noch nie herausgearbeitet und gewürdigt worden. Auffällig ist das breite Spektrum der Inspirierten: Giorgio de Chirico, Max Ernst, Salvador Dalí seien genannt für die radikalen Exponenten des Surrealismus, Paul Klee, narrativ-poetischer Solitär, und Alfred Kubin, grandioser Schilderer des Dunklen und Albtraumhaften. In der realistischen, sozialkritisch ambitionierten Kunst sind es Namen wie Hans Baluschek und Käthe Kollwitz, die Einflüsse Klingers verarbeitet haben. Auch symbolistisch geprägte und naturalistische Kunst sowie die dekorative oder scheinidyllische Kunst des Jugendstils haben sich von Klinger und seinen druckgraphischen Folgen anregen lassen. Dies im Kontext, mit allen Interferenzen wie auch Irritationen und Merkwürdigkeiten, vorgeführt zu bekommen, hat wohl bei allen Teilnehmern der Führung von Richard Hüttel großen Eindruck hinterlassen. Und damit nicht genug: Ein Annex zur Ausstellung zeigt Klinger im Sinn, wiederum druckgraphische Bildfindungen von zehn Künstlern aus dem Jetzt und Hier – ein deutliches Zeichen für aktuelles Wirken Klingers ganz im Sinne des Ausstellungsgedankens.

Die Ausstellung, in Leipzig von März bis Juni 2007 gezeigt, ist in der Hamburger Kunsthalle vom 11. Oktober 2007 bis 13. Januar 2008 zu sehen. Der umfangreiche und aufschlußreiche Katalog kostet in der Ausstellung 28 Euro.

Eberhard Patzig

Das Marx’sche Redaktionsexemplar der Neuen Rheinischen Zeitung – Irrweg und Wiederentdeckung eines verschollen geglaubten Dokumentes, ein gewiß nicht eben üblich bibliophiler Stoff, stand am 8. Mai 2007 auf dem Programm des Leipziger Bibliophilen-Abends. Dr. François Melis, Mitarbeiter an der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA), referierte über ein Thema, das buchstäblich »sein« Thema ist – ohne seine Untersuchungen könnte es heute gar nicht formuliert werden. Der Referent skizzierte die Geschichte dieser bedeutenden und maßstabgebenden Tageszeitung aus dem Revolutionsjahr 1848/1849, verwies auf die Rolle von Karl Marx als Chefredakteur im Gefüge der Redaktion, der – neben Friedrich Engels – Persönlichkeiten wie Ferdinand Freiligrath und Georg Weerth angehörten. Bereits die Zuordnung der nicht namentlich gezeichneten Beiträge der NRZ ist ein spannendes und folgenreiches Kapitel. So berichtete Melis, daß in früheren Marx-Engels-Ausgaben enthaltene Beiträge angesichts neuerer Erkenntnisse wieder ausgeschieden werden müssen. Dabei ist das Marx’sche Redaktionsexemplar von beachtlicher Bedeutung, die aber wiederum erst durch die Bemühungen des Forschers Melis richtig zum Vorschein kommen konnte. Er identifizierte ein in Moskau befindliches Exemplar der NRZ als Redaktionsexemplar mit Anstreichungen und Korrekturen von Marxens Hand. Die Geschichte dieses Exemplars, seine Wege, seinen Identitätsverlust schilderte der Referent mit sichtlicher innerer Beteiligung: Nach der gescheiterten Revolution ins Londoner Exil mitgenommen, dienten die zwischen dem 1. Juni 1848 und dem 19. Mai 1949 in Köln erschienenen Ausgaben der NRZ häufig als Quelle verschiedener Arbeiten. Marx bemühte sich noch im Mai 1849, fehlende Nummern durch Exemplare aus dem Bestand der Zeitungsexpedition zu ersetzen. Für den wissenschaftlich-bibliophil Interessierten waren die Ausführungen des Referenten zu Druckstatus, Korrekturen und Ergänzungen, Provenienzen, Verbleib und Verlust von Exemplaren aus dem Kreis der Redaktion von allergrößtem Interesse.

Bald nach dem Tod von Karl Marx begann die Odyssee seines Redaktionsexemplars: Engels überreichte es in Zürich Eduard Bernstein, der es als Quelle für seinen Sozialdemokrat benutzte. Mit der Verlegung des Sozialdemokrat nach London wanderte es an die Themse zurück, um nach dem Fall der Sozialistengesetze, in zwölf Leinenbänden gebunden, nach Berlin ins Archiv der noch jungen Sozialdemokratie umzuziehen. Hier wurde es trotz substantieller und signifikanter Marginalien und Korrekturen von Marxens Hand nicht mehr als sein Handexemplar geführt. 1931 gelangte es in die Hand des Berliner Antiquars Josef Altmann, der seine Bedeutung schnell erkannte und es zielgerichtet dem Moskauer Marx-Engels-Archiv zum Kauf anbot. Obgleich mit den Hinweisen Altmanns und den bestätigenden Schreiben eines Berliner Spezialisten und Gewährsmannes jetzt die Basis gegeben war, die wahre Identität dieses Exemplars zu erkennen, trat genau das Gegenteil ein. Zwar wurde das Exemplar in Moskau zur Edition zeitgenössischer Ausgaben herangezogen, die wirkliche Herkunft aber durch fehlerhafte Archiveinträge weiter verschleiert. Die Zeit des Terrors, der auch vor dem Marx-Engels-Archiv nicht haltmachte, und der Überfall Hitlerdeutschlands auf die UdSSR trugen weiter dazu bei, dieses interessante Zeugnis früher marxistischer Publizistik gleichsam ins Dunkel zu hüllen. Die Geheimhaltungsparanoia der sowjetischen Archive und wissenschaftlichen Institute nach dem Krieg verwehrte auch den Wissenschaftlern aus den Bruderländern“ die Benutzung. So kam es, daß Marx’ Redaktionsexemplar der NRZ erst in den 1990er Jahren in seiner eigentlichen Bedeutung (wieder)erkannt werden konnte – dank der unbeirrbaren Bemühungen des Referenten, der das Dokument damit auch für die heutige Forschung gesichert hat. Die Frage aber drängt sich beunruhigend ins Bewußtsein: Was liegt, was ruht auf so ungute Weise noch im Verborgenen der Archive?

Eberhard Patzig

Widmungsexemplare und signierte Bücher haben für den bibliophilen Sammler einen ganz besonderen Reiz, und so verwundert es nicht, daß der Vortrag des Antiquars Eberhard Köstler (Tutzing) am 5. Juni 2007 auf reges Interesse der Leipziger Bibliophilen stieß. Unter dem Titel Herzlich zugeeignet gab der Referent zunächst eine Einführung in Funktionen und Erscheinungsformen handschriftlicher Widmungen, basierend auf einem launigen Artikel des Literaturwissenschaftlers und Sammlers Dr. Walter Hettche, der leider am Kommen verhindert war, so daß die Leipziger Bibliophilen auf Kostproben aus seiner bedeutenden Autographensammlung verzichten mußten. Sie wurden jedoch entschädigt durch eine Vielzahl interessanter Beispiele, die Eberhard Köstler mit dem Laptop an die Leinwand warf. Sie zeugte von den reichen und überraschenden Funden, die Antiquare und Sammler heutzutage auf dem vielfältigen Autographenmarkt noch machen können. Natürlich waren viele der deutschen Gegenwartsautoren wie Heinrich Böll und Günter Grass, Robert Gernhardt und Peter Rühmkorf, Peter Handke und Hilde Domin vertreten, aber auch Vertreter aus der ersten Hälfte des 20. und aus dem 19. Jahrhundert, so Thomas Mann und Alfred Döblin, Else Lasker-Schüler und Franz Werfel, Werner Bergengruen, Waldemar Bonsels, Hermann Broch, Ernst Jünger, Luise Rinser, weiter Adalbert Stifter und Theodor Fontane, selbst Geheimrat Goethe war mit seinem Namenszug vertreten. - In der überaus regen Diskussion, die sich dem mit Beifall aufgenommenen Ausführungen anschloß, konnte der Referent viele Detailfragen über die Wertigkeit eines Autograph beantworten, die hier aus einer lesenswerten Abhandlung des Autors in dem Band »Aus meiner Hand dies Buch«. Zum Phänomen der Widmung (Wien: Verlag Turia + Kant, 2006) zitiert seien: „(1) Wie bedeutend und gesucht sind Bücher und Autographen des Verfassers nach der gegenwärtigen Einschätzung? (2) Wie selten ist das Buch, in das die Widmung geschrieben wurde (Vorzugsausgabe oder seltener Separatabzug)? (3) Wie gut ist das Buch erhalten und ausgestattet? (4) Wie selten sind Widmungen des Autors im allgemeinen? (5) Wie umfangreich ist die Widmung? (6) Ist sie inhaltlich für das Werk, die Weltanschauung oder die Biographie des Verfassers bedeutsam? (7) Ist der Adressat der Widmung ebenfalls eine bedeutende Persönlichkeit oder steht er in persönlich nahem Verhältnis zum Verfasser?“

Herbert Kästner

Schönste Bücher“ in der Regionalgruppe Rhein-Main-Neckar. Zu ihrem Treffen im Mai dieses Jahres hatten die Pirckheimer-Freunde Uta Schneider, die Geschäftsführerin der Stiftung Buchkunst, eingeladen. Sie berichtete zunächst über die wechselvolle Geschichte der seit 1929 durchgeführten Prämierung. Seit 1991 liegt die Ausrichtung des nun wieder gesamtdeutschen Wettbewerbs bei der Stiftung Buchkunst, die getragen wird vom Börsenverein des deutschen Buchhandels, der Deutschen Nationalbibliothek und den Städten Frankfurt am Main und Leipzig. Im Mittelpunkt standen dann die im Jahre 2006 „erfolgreichen“ Titel, von denen Uta Schneider etliche Exemplare mitgebracht hatte. Anhand dieser Bücher erläuterte sie die Kriterien, in denen gerade diese Titel ihre Bewährungsprobe bestanden hatten. Es schloß sich eine lebhafte Diskussion an, in der die Anwendung der „Regeln“ im Einzelfall kritisch hinterfragt wurde. Es wurde durchaus deutlich, daß einerseits die Buchgestaltung vom Wandel des Kunstgeschmacks abhängt und daß andererseits die jeweilige Beurteilung von der Zusammensetzung der Jury geprägt wird. Die „Schönsten Bücher“ des Jahres 2006 sind mit ausführlichen Begründungen in einem über 400 Seiten starken Buch erfaßt, dessen eigenwillige Gestaltung wohl vielen eine Einübung abverlangt (ISBN 978-3-7657-2877-8). (Weitere Einzelheiten sind im Bericht über eine gleichartige Veranstaltung bei der Gruppe der Berlin-Brandenburger Pirckheimer in Heft 186 zu finden.)

Ferdinand Puhe

Thomas Mann – Illustrierte Ausgaben. Am 6. Mai fand in Hessen landesweit der „Tag der Literatur“ statt. In vielen Orten lasen Schriftsteller aus ihren Werken, trugen Rezitatoren aus klassischen Literaturen vor, wurden Ausstellungen eröffnet. Auf Anregung des Pirckheimer-Vorstandsmitglieds Ferdinand Puhe wurde in der Mediathek von Eltville am Rhein eine Präsentation von illustrierten Büchern Thomas Manns gezeigt. Vor allem ging es hier um Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull, dessen Geburtsort der Autor in treffenden Umschreibungen in dieser Rheingaustadt gesehen hat. Puhe berichtete in einem Einführungsvortrag über die fast fünfzigjährige Entstehungsgeschichte dieser fiktiven Autobiographie, die in großen Teilen auch einem persönlichen Bekenntnis des Autors gleichkommt. Es war und ist naheliegend, daß sich Illustratoren gerade von diesem Werk besonders angezogen fühlen. So schufen Gunter Böhmer (Büchergilde Gutenberg, 1975) und Werner Klemke (Aufbau-Verlag, 1965) kongeniale interpretierende Zeichnungen in schön gestalteten Büchern. Davon konnten jeweils zwei Exemplare ausgelegt werden. In seinem Vortrag ging Puhe auch auf die heutige, nicht gerade rosige Situation des „Schönen Buches“ und der weit verbreiteten Lese-Unlust ein, wobei nach seiner Meinung letztere eine Folge der ersteren sei. Er appellierte an die Verlage, die Ausstattung eines Buches wieder seinem inneren Wert anzugleichen.