Albumblatt für Harald Kretzschmar zum Geburtstag
Bei ihm gibt es immer was zu klauen. Der Mann, der heute 75 Jahre alt wird, hat
so viele Bilder von der Welt in die Welt gesetzt, dass irgendwas immer ins Auge
fallen muss. Zum Beispiel die Überschrift dieses Beitrags. Die habe ich aus
einem Jahrzehnte alten Buch von ihm geklaut; »Augenblicke«, gesammelte
Reiseskizzen in Bildern und Sätzen. Seine Augenblicke sind Schwarzweißskizzen,
farbig Getuschtes und Sprach-Beobachtungen aller Art. Und immer stand der
Notizzettel Schmiere.
Als ich bei einer Ausstellungseröffnung mal über ihn zu reden hatte, fand
ich heraus, dass er ein DDK ist. Ein Deutscher Demokratischer Karikaturist. Den
Ausdruck klaue ich jetzt bei mir selber und erkläre ihn:
Was zeichnet einen DDK aus? Dass er natürlich auch ein BRD ist, ein
Bersönlich Redender Dresdner – man merkt an der weichen Anlautung im
Bersönlichen, dass der DDK ein besonders verträglicher Landsmann ist, sozusagen
das höchste und letzte Stadium des Staatsbürgers, wie ihn Sachsen nun mal ideal
verkörpern. Dabei ist dieser sehr typische Sachse mit wendisch-slawischem
Nachnamen sogar in Berlin geboren und lebt seit Jahrzehnten, wie viele kluge
Sachsen, im Berliner Umland.
Ein DDK ist deutsch, also genau, pingelig, wie es bei den Kölnern heißt,
wenn auch immer ein bissel hinterfotzig, wie es die Bayern nennen. Der DDK lässt
sich nicht gern nachsagen, dass er einen Termin nicht hält, ein Format nicht
füllt, eine Sache nicht auf den Punkt bringt, oder – einem Zeichner angemessen –
den Schlussstrich nicht exakt ziehen kann.
Der DDK ist zudem demokratisch; ihm ist der Gegenstand seines Spottes
relativ gleich, wenn er ihm nur eine lange Nase zeichnen kann. Drum heißt das
bislang autobiografischste und jüngste Kretzschmar-Buch auch »Wem die Nase paßt«.
Mein privates Antlitz hat er mir vorn ins Buch hineingezeichnet – das müssen
alle erdulden, die ein Buch direkt bei ihm erwerben.
Der DDK hat aber auch ein Händchen fürs Wortspiel. Er kann die Tinte
nicht nur als Zeichner nicht halten, sondern beschreibt kenntnisreich fremde
Ausstellungen, ureigne Angelegenheiten und Welträtsel im allgemeinen. Und
manchmal verbreitet er sich essayistisch, früher in der »Weltbühne«, jetzt
gelegentlich im Nachfolger OSSIETZKY, aber auch in dieser Zeitung, als wollte er
den Sinn des Spruches testen: Wer schreibt, der bleibt. Wer malt, kriegt
bezahlt.
Apropos Wortspiel: Der DDK ist auch demokritisch. Das Volk passt ihm
nicht immer. Ob es nun in Form von Repräsentanten präsidiert oder als kleinster
gemeinsamer Vielschreier sich genau über jene Leute aufregt, die es doch gerade
gewählt hat. Zum dritten und wichtigsten aber ist der DDK Karikaturist, folglich
ungerecht. Ungerecht, wie wir das mögen, wenn es andere trifft: So isses, das
muss man doch mal aufzeigen – bzw. aufzeichnen – das ist treffend, das ist gut,
das ist scharf, das passt wie Faust aufs Auge!
Nur wenn der Karikaturist uns meint, da trifft er uns auf dem falschen
Fuß. Da sind wir erstaunt und verschnupft: So kann man das doch nun nicht sehen
– hat der was auf'm Auge? Das ist doch unpassend. Das ist nun wirklich nicht
ausgewogen – und lustig schon gar nicht. Das ist überspitzt und überhaupt nicht
mehr komisch.
Der DDK H.K. hat einen großen Nachteil. Er wird an seinen
Porträtkarikaturen erkannt: Das kann nur vom Kretzschmar sein, sagen die Kenner
und die Nichtkenner merken immerhin: Das ist nicht vom üblichen Pressezeichner,
der einem Männel »SPD« auf den Bauch schreibt, und dem andern »CDU«, mit der
krönenden Sprechblase: »Wollen wir mal ganz groß koalieren?«
Nein, Kretzschmar weiß um den Sinn des Wortes »Bildfindung«. Das hat mit
seiner jahrzehntelangen Arbeit für den »Eulenspiegel« zu tun, denn die
Porträtkarikatur dort – das war Kretzschmar. Seine Eulen-Leute vergrößerten sich
mit der Lupe, knallten sich selber ein Buch an den Kopf oder tanzten als Fontäne
auf dem Walfisch Brecht. In den Achtzigern knetete Kretzschmar sich seine Leute
auch zurecht – es gibt bei ihm Böll, Cocteau und Joyce, alle in Terrakotta.
Man könnte meinen: Nun hat er ja alles ausprobiert! Wirklich? Klauen wir
ihm noch mal drei Sätze: »Ich kann Bäume ausreißen, Häuser verschieben, aus
einer Mücke einen Elefanten machen und umgekehrt. Nicht um zu lügen. Um der
höheren Wahrheit willen.«
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