Bücherliebhaber
„In meiner Bibliothek – sie ist in zwei hohen dunklen Gartenzimmern behaglich
untergebracht und dürfte mehr als viertausend Bände zählen – fühl ich wie selten
sonst mich hier bestätigt: wahrlich, dieses Reich ist mein, ich bin sein
angestammter Herr; ich liebe die Edlen, denen ich gebiete“. So schreibt der
Ministerialrat und Bücherfreund Dr. jur. Richard Schaukal (Wien) in seinem
Beitrag zum Deutschen Bibliophilen-Kalender für das Jahr 1914. Ja – ein
Bibliophiler bin ich auch und ich habe in den vergangenen Jahren viel
finanzielle Mittel in den Aufbau meiner Bibliothek gesteckt. Bücher sammeln ist
wie eine endlose Straße zu beschreiten, man muss sich daher rechtzeitig ein
kleines Ziel stecken, um in ein überschaubares Gebiet abzuzweigen. Aber selbst
wenn dies gelungen ist, haben die ledernen, leinengebundenen oder broschierten
Bücher so viele Brüder und Schwestern, die als vollständige Reihe zu besitzen,
jede Vernunft im Keime erstickt. Es ist eine sowieso für den Nichtleser schwer
zu vermittelnde Tatsache, so viele Bücher sein Eigen zu nennen, die zu lesen ein
Menschenleben nicht hinreicht, wie soll man dann noch verständlich erklären,
Bücher einer Reihe nur deshalb zu besitzen, damit die Ausgabe vollständig ist.
Das klingt unlogisch und ist es auch, aber um Verständnis geht es beim Sammeln
auch nicht; bedenkt man nur die Kuriositäten, die Menschen an den Tag legen,
wenn sie Zollstöcke oder Kronkorken zu Tausenden anhäufen.
Als Bücherliebhaber, diese Bezeichnung ziehe ich dem Bibliophilen vor, habe ich
eine Neigung vor allem zum alten Buch entwickelt. Der Besuch von Buchläden, mit
ihrer Massenware und dem mitunter unübersehbaren Angebot an Druckerzeugnissen
überfordert mich und ich eile heutigen Tags eher gezielt suchend dort hindurch.
Es hat Zeiten gebeben, die vor der gesellschaftlichen Wende lag, als ein
überschaubares Sortiment noch Spaß am Stöbern bereitete, auch, weil sich die
damals schon begonnene Leidenschaft am Buch nur manchmal an einer gesuchten
Rarität weiden konnte. Antiquarisches stand damals noch nicht so sehr im
Mittelpunkt meiner Bemühungen, es waren eher die Autoren, denen in unserem
damaligen Lande nicht viel Papier eingeräumt oder die als „Bückware“ gehandelt
worden waren, denen mein Interesse galt. Mühevoll füllte sich dennoch Regal um
Regal, das aus meines Vaters Tischlerhänden seinen ersten Platz in einer
Dresdner Neustadtwohnung seinen stolzen Platz fand. Aber Platz und Bücher sind
zwei Begriffe, die nicht wie „Schicksal und Gemüt“ eine gemeinsame Entsprechung
haben, sondern sich gegenseitig ausschließen. Und Bücher in eine zweite Reihe zu
verbannen, nur um diesem Widerspruch wenigstens einigermaßen zu begegnen, kam
für mich nie in Frage. Das wäre, als wollte man künstlich Schatten schaffen, in
dem diese armen Brüder und Schwestern ein freudloses Dasein fristen, ohne Licht
und Wärme. Von beidem brauchen nicht nur die stummen, aneinandergereihten Bände
eingut Teil, nicht zu viel, sondern auch ich als Betrachter spüre diese Wärme,
wenn ich in den ansehnlichen Genuss Ihrer goldfarben geschmückten Einbandrücken
komme. Denn auch das ist Teil der dem Bücherliebhaber innewohnenden Eigenheit,
der äußerliche Schein seiner Bücher, am liebsten mattglänzendes Leder, das sich
anfühlt als streichle man über einen glatten Kinderpopo, dabei leicht biegsam
und der Hand zärtlich einschmeichelnd. Die zweite Empfindung, die zum Gefühl des
Bücherliebhabers beiträgt, besteht aus dem Inhalt seiner Erwerbung, die im
Idealfall seiner äußerlichen Erscheinung an Textgenuss nicht nachsteht. Am Ende
des 19. Jahrhunderts haben sich die Schrift- und Buchkünstler endlich wieder
zusammen gefunden und nach William Morris-Vorbild wieder Bücher oder
Zeitschriften geschaffen, die diesem Anspruch genügen. So etwas zu besitzen,
etwa einen Jahrgang des „Pan“ und „Die Insel“, gehört zweifellos zu den Perlen
einer neueren Bibliothek. Solche Jahrgänge vollständig zu erwerben, ist eine
preis- und fleißintensive Beschäftigung, die nicht immer von Erfolg gekrönt sein
kann, denn zum einen sind vor allem dem Budget Grenzen gesetzt und zum anderen
hat die Zeit dazu beigetragen, die einst gedruckten Exemplare in bestehende
private und öffentliche Sammlungen aufzuteilen oder sie sind durch zeitbedingte
Ereignisse gänzlich vernichtet. Das Auffinden eines gesuchten Exemplars gehört
mit zu den Sternstunden eines Bücher-Sammlerlebens und verschafft in seiner
Erfüllung einen weiteren Empfindungsteil, der in Worten nur schwer Ausdruck
verliehen werden kann. Es ist ein Gefühl der Erfüllung, wie wir sie in unseren
Kindertagen an Weihnachten wohl manchmal verspürt haben und mit Glückseligkeit
umschreiben können. Durch das Internet ist die Suche nach solchen Büchern
erheblich erleichtert worden und jährlich gibt es mehr Suchmaschinen, die dem
Sammler dabei behilflich sind, doch ersetzen sie nicht das Gefühl, das in
früheren Jahren der eher zufällige Fund in einem Antiquariat oder auf einem
Trödelmarkt dem Bücherfreund das Herz zum Rasen brachte, wenn er ein
unscheinbares Buch aus einem Stapel oder einer Kiste zog, nach dem er schon
lange auf der Suche war. In Wien gibt es noch einen wöchentlichen Trödelmarkt
unterhalb des Naschmarktes auf dem ich vor zwei Jahren den zweiten Jahrgang des
Almanach „Iris“, herausgegeben 1848 von Johann Grafen Mailath, gefunden hatte.
Er enthält Kupferstiche und den Erstdruck von Adalbert Stifters Erzählung „Prokopus“
und Grillparzers „ Der arme Spielmann“. Wie groß war meine Freude, während eines
neugierigen Streifzuges über diesen Markt solch ein Buch zu einem Spottpreis zu
finden.
Das mit Abstand schönste Gefühl aber, entsteht bei der Nutzung der eigenen
Sammlung. Geduldig und erhaben blicken die Bände auf mich, wenn ich ihren Raum
betrete. Und sofort geschieht es etwas, das dem Magnetismus nicht unähnlich zu
einer Anziehung wird, wahllos oder gezielt das eine oder andere Buch vom Regal
zu nehmen, darin zu blättern, sich zu erinnern oder einige Textstellen zu lesen.
Noch während ich das tue, breitet sich in meinem Innern eine feinnervige Unruhe
aus, die mich nach kurzer Zeit das gewählte Buch zurück stellen lässt und mich
antreibt ein nächstes vom Regal zu ziehen. Das wiederholt sich einige Male, bis
mich entweder ein neugieriger Reiz erfasst, das Buch zu einer längeren Benutzung
auszuwählen oder meine Neugier ist versiegt und ich streiche wahllos mit meinen
Fingern über die Einbände. Dabei erzeugt sich aus der Berührung von Leinen und
Leder ein Gefühl der Genugtuung, solch einen Besitz mein eigen zu nennen und zu
wissen, dass hier Bände stehen, die der Buch- oder Antiquariatsmarkt derzeit
nicht hergeben. Das schafft eine kleine geistige Befriedigung und damit jene
Stärke, die der Mensch braucht, um für Aufgaben gewappnet zu sein, die seiner
tagtäglich harren. Der Besitz meiner Sammlung ist immer ein Gefühlsableiter von
Problemen gewesen, solcher vor allem, die zur Lösung etwas Zeit und Besinnung
braucht.
Besinnliche Stunden im Kreise meiner Bücher sind dann auch der Lohn der
vielzähligen Bemühungen um ihren Erwerb und die Zeit, die ich dann mit ihnen
verbringen kann, trägt maßgeblich mit zur Gelassenheit bei, mit der ich das
scheinbar unlogische Tun meines Sammelns betrachten kann.
Vielleicht ist so erklärlich, was so unverständlich erscheint. |